BUNDESKANZLER SCHRÖDER LÄSST CHINAS DISSIDENTEN ALLEIN: Dialog ist bequemer als Kritik
Wenn deutsche Politiker nach Peking reisen, dann haben sie ein Lieblingskind im Arm: den deutsch-chinesischen Rechtsstaatsdialog. Der ist zwei Jahre alt und soll den Chinesen dabei helfen, eine moderne Justiz zu entwickeln – mit ordentlich formulierten Gesetzen und mit Gerichten, die ihre Paragrafen kennen und zudem fähig und bereit sind, sie anwenden.
Geboren wurde dieses Projekt aus der Erkenntnis, dass diese Zusammenarbeit die Menschenrechte langfristig viel mehr fördern könnte, als wenn deutsche Politiker auf der Durchreise die Regierungswillkür und Rechtlosigkeit der chinesischen Bürger beklagen. Außerdem ist der Rechtsstaatsdialog im Interesse der deutschen Unternehmen in China, die – ebenso wie einheimische Firmen – darunter leiden, dass im Zweifel nicht das Gesetz zählt, sondern die besseren Kontakte.
Die chinesische Regierung hat den Rechtsstaatsdialog ebenfalls gern akzeptiert, weil sie weiß, dass sie ohne modernisierte Justiz nicht mehr auskommen kann, wenn Chinas Rolle in der Weltwirtschaft weiter wachsen soll. „Rule by law“ lautet die Maxime der Pekinger Behörden, frei übersetzt: „Das Gesetz für die Regierung nutzen.“ Von „rule of law“ – also von einer unabhängigen Justiz – ist noch längst nicht die Rede. Und die KP macht kein Hehl daraus, dass sie nicht daran denkt, eine solche Gewaltenteilung zuzulassen.
Schröder hat sinngemäß erklärt, er sei es leid, bei seinen Chinareisen Namenslisten von politischen Gefangenen zu übergeben. Das sei „nur ein Ritual“ und bringe nichts. Aber was ist die Alternative? Auf eine langfristige Wirkung des Rechtsstaatsdialogs zu warten? Dies muss ein schrecklicher Gedanke sein für Chinas Dissidenten, die im Gefängnis schmoren, weil sie sich auf die in der chinesischen Verfassung garantierte Meinungsfreiheit berufen haben. Ebenso werden die Journalisten verzweifeln, die im Internet diskutierten und deshalb festgenommen wurden. Sie alle werden nicht verstehen, dass die deutsche Regierung es nicht mehr für nötig hält, sich für sie einzusetzen. Wer soll es denn sonst tun? JUTTA LIETSCH
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