: BREITBAND-BIOTIKUM
■ Autobahn-Musik von Jan Fryderyk
Vielleicht befördert sie auch die Schreib-/Denkmobilität zu Schnelle und Schönheit. Kopfhörer aufgeschnallt, die Cassette in den Recorder geschoben, das Haupt von brütender Citysonne beschienen, sitzt die Rezensentin, Papier im Schoß, Kuli in der Hand und harrt der versprochenen psycho -physikalischen Klangwunder.
Diese Versuchsanordnung ist allerdings schon in der Anlage falsch. Und auch alle anderen gestalten sich unerwartet schwierig. Stehen geht nicht, und Gehen geht auch nicht. Sitzen nämlich ist gewissermaßen unabdingbar. Zusätzlich braucht es allerdings noch ein Auto und eine Autobahn; ersteres mit Cassettenrecorder, letztere mit „Pfeilern am Straßenrand, je 50 Meter“, „Mittelstreifen“ und natürlich „Landschaft“.
Der Recorder im Auto der Rezensentin ist nun aber leider seit längerem zum Bandvampir mutiert. Die Freundin mit funktionierendem Cassettenwerk ist nach Westdeutschland verreist. Im Auto des Mitbewohners klingt die angekündigte „Autobahnmusik“ vom polnischen Komponisten Jan Fryderyk plötzlich wie ein gehetztes, hochgetöntes, unsprachliches Dubidu eines Schlümpfe-Orchesters. Sein Recorder drehe halt zu schnell, erklärt ungerührt der Besitzer; da müsse man eben 180 bis 200 fahren, damit prospektgetreu „die gewünschte positive Stimmung erzielt“ wird und die glückliche Einheit von Musik und Landschaft sich einstellt.
Doch da sei der Senat vor. Die Rezensentin sieht sich infolgedessen in einer ausweglosen Lage. Nicht nur, daß sie Wagen und eigenen Fahrkünsten keine 200 Stundenkilometer zumuten möchte. Und selbst wenn, so könnte sie von dem 60Minuten dauernden Wechsel von „Anregung und Beruhigung“ bei 15km Avus a 200km/h nach klassischem Dreisatz nur 4,5Minuten hören. Wenn sie nicht 13,3mal die Avus rauf und runter rasen täte und das ohne Nordkurve! Eine denkbar schlechte Grundlage für eine grundlegende Besprechung. Im übrigen liest ein anständiger Rezensent auch nicht nur 13,3 Prozent der Seiten eines Buches.
Es ist aber noch viel schlimmer. Der unglücklichen Besprecherin ist das Hören der Cassette quasi höheren Orts verboten. Denn: „Diese Musikcassette ist für übliche Reisegeschwindigkeit 110 bis 140km/h bestimmt.“ Nichts ist es also mit glücklichem Fahren auf Berlins Miniaturautobahnen, welches die „psychisch-rhythmischen Intervalle“ konzeptuell „berücksichtigt“.
Damit ist die Einklangs-Testerin allerdings auch aus dem Schneider, beziehungsweise der Pflicht enthoben, mutig und unbeugsam ihr Urteil abzugeben und dadurch womöglich ein ganzes Komponistenleben und -werk zu zerstören. Wenn nämlich das Tonwerk bei 130 Durchschnittstempo genauso klingt wie bei 0km/h (siehe oben), dann möchte sie fast behaupten, daß sie letzthin beim Hammondorgelalleinunterhalter im Strandcafe von Borkum in der späten Nachnachsaison stimmungslagenmäßig sich schon besser aufgehoben, respektive im Einklang mit der Landschaft gefühlt hat.
Aber zwischen Zero und Hundertplus liegt eben das Geheimnis der Geschwindigkeit; und daß unser Zeitalter von eben derselben außer Stand gesetzt wurde, wie eine neunschwänzige Raumzeitkatze aus Alice im Wunderland ist, wissen wir von unseren nachmodernen Jet-Theoretikern.
Ab Helmstedt erst wird dann also aus dem im GehenStehenSitzen wie eine Tonmaske aus New Age-Muzak, Philip Glass-Scherben und Clayder-Nono anmutenden Breitband -Placebo der irdische Himmel im rhythmischen Rausch aus Mittelstreifen-Metrum, Pfeilertakt, Klavier und Synthesizer. Das 49jährige polnische Wunderkind - mit fünf ans Klavier gesetzt, mit 16 ein Musical geschrieben, internationalen Pianistenpreis gewonnen, Dozentur erlangt etc. etc. wird's, im Verein mit seinem gesunden Geschäftssinn, schon zaubern. Rostberliner nehmen derweil mit dromologisch -musikalischen Altmobilien vorlieb.
CD
Jan Fryderyk: Autobahn-Musik. 15 Mark, TCE-Service, Karl -Simrock-Str.17, 5340Bad Honnef
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