BOLIVIEN: GONZALO SÁNCHEZ DE LOZADA WIRD EIN SCHWACHER PRÄSIDENT: Ein Pakt gegen das Volk
Erneut zieht Gonzalo Sánchez de Lozada in den Präsidentenpalast von La Paz ein. Während seiner ersten Amtszeit in den Neuzigerjahren hatte der Multimillionär mit dem Gringo-Akzent die wirtschaftliche Öffnung Boliviens vorangetrieben – begleitet vom Wohlwollen der USA und abgefedert durch einen beispiellosen Geldregen der entwicklungspolitischen Agenturen aus dem Norden. Bolivien avancierte zum Vorzeigeprojekt der neoliberalen Modernisierung Lateinamerikas. Demnach sollten marktwirtschaftliche Reformen zusammen mit politischer Demokratisierung eine neue Ära der Stabilität einleiten.
„Goni“ stand auch für den endgültigen Sieg der Zivilgesellschaft über die Militärs – als Vizepräsidenten nominierte er gar einen Indígena. Doch die unteren zwei Drittel der bolivianischen Gesellschaft, die indianischen Kleinbauern und die Bewohner der Armenviertel in den Städten, profitierten nicht von seinem neoliberalen Projekt. Das wurde ab 1997 von Hugo Bánzer, dem zum Demokraten mutierten Exputschisten, fortgesetzt.
Von der wachsenden Unzufriedenheit der vom Wohlstand Ausgeschlossenen profitierte Evo Morales. Seine „Bewegung zum Sozialismus“ gewann zusammen mit der „Indígenabewegung Patchakuti“ 27 Prozent aller Sitze im Kongress – das kam einem politischen Erdbeben gleich. Die von der weißen Oberschicht dominierte Stellvertreterdemokratie wird damit in der kommenden Regierungszeit erstmals innerhalb ihrer Institutionen mit dem „Volk“ konfrontiert.
Unter dem Druck Washingtons wird die Koalition das Krisenmanagement der alten Regierung fortsetzen wollen. Die spannende Frage bleibt, inwieweit die erstarkte Opposition Zugeständnisse erzwingen kann. Zur Disposition steht der Privatisierungskurs, ein Steckenpferd des Präsidenten, ebenso wie die repressive Anti-Drogen-Politik auf Kosten der Kleinbauern. Auch der Umgang mit den riesigen Erdgasreserven ist umstritten. Das „tiefe Bolivien“ umfasst nicht 27, sondern 80 Prozent. Gonzalo Sánchez de Lozada wird dies berücksichtigen müssen. GERHARD DILGER
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