BILDUNG: Das letzte bisschen Protest
Drei Monate nach den Uni-Besetzungen sind die Proteste deutlich abgeflaut. Die Besetzungen sind kaum noch präsent. Trotzdem hat die Bewegung einiges erreicht
Es könnte ein letztes Aufbäumen kurz vor dem Ende gewesen sein: Am Donnerstag versammelten sich noch einmal Unterstützer verschiedener Unis im Hörsaal 1A der Silberlaube in der Freien Universität, um eine drohende Räumung zu verhindern. Zuvor hatten Vertreter des Präsidiums ein Ultimatum gestellt: Ersatzräume gegen die freiwillige Räumung von Hörsaal und Foyer bis 14 Uhr, danach wäre es vorbei mit der Duldung.
Die Studenten räumten nicht, die Uni bislang auch nicht. Doch unter den Besetzern wird diskutiert, den Hörsaal freiwillig zu verlassen. Da geht es um praktische und ideologische Fragen: Würde eine Räumung schaden? Wie und wo kann man sich dann treffen, um weitere Proteste zu planen? Und was passiert mit dem Hab und Gut von Besetzern, die derzeit nicht im Hörsaal sind?
Der Forderungskatalog der Studierenden, die sich bereits für die Proteste im vergangenen Juni mit den Schülern zusammentaten, ist lang: Ein freiere Einteilung des Studiums wollen sie, mehr Geld für die Bildung, kleinere Schulklassen und gleiche Chancen auf Bildung, unabhängig von der Herkunft. Darüber hinaus fordern sie die Abschaffung oder zumindest eine grundlegende Überarbeitung der Bachelor- und Masterstudiengänge, keine Anwesenheitskontrolle sowie mehr Mitbestimmung in den Universitäten.
Nicht nur die FU-Besetzer befinden sich zum Beginn der Semesterferien am Wochenende an einem Wendepunkt. Nachdem in der ersten Novemberhälfte die Studierendenproteste aus Österreich auch nach Berlin schwappten, waren innerhalb von wenigen Tagen die drei großen Universitäten der Stadt besetzt. Doch von brennender Protest-Atmosphäre ist nicht mehr viel zu spüren. Die Forderungen der Studierenden sind in der Realpolitik angekommen, die großen Kämpfe zerfasern. Ein Symptom dafür ist der Terminkalender des Bildungsstreiks: Während sich im Dezember noch Flashmobs, Workshops und Versammlungen drängelten, sind ab Ende nächster Woche die Felder leer.
An der Humboldt-Universität (HU) sind die Besetzer aus dem Audimax in die Mensa Süd gezogen, um Platz für Prüfungen zu schaffen. Einer von ihnen berichtet von einer veränderten Stimmung nach dem Umzug. Es sei jetzt "wesentlich angenehmer" als im Audimax, da von der Unileitung keine Steine mehr in den Weg gelegt würden. "Aber viele Studierende schauen kurz rein und gehen dann einfach weiter, das war am Anfang anders." Viele würden sie gar nicht mehr ernst nehmen.
Dabei müssen sich die Bildungsstreikenden nicht verstecken. Zwar haben sie weder Bachelor und Master abschaffen können noch die Garantie eines Masterplatzes für jeden Bachelor-Studenten durchgesetzt. Doch im großen wie auch im kleinen Rahmen gibt es Erfolge: Der Akkreditierungsrat, der über die Qualität der Studiengänge wacht, versprach Verbesserungen, Professoren schlossen sich den Forderungen der Studierenden an, an zahlreichen Unis wurde die umstrittene Anwesenheitskontrolle ausgesetzt.
An der HU beschloss der Akademische Senat, ein Gremium aus Lehrenden und Studierenden, dass bei der Überarbeitung der Studienordnungen überprüft werden soll, wo die Bachelor-Regelstudienzeit um zwei Semester angehoben werden kann. Das soll ermöglichen, auch mal fachfremde Seminare zu besuchen. Die Zahl der Arbeitsstunden, die notwendig ist, um einen Leistungspunkt zu erhalten, soll sinken. "Die HU hatte hier von Anfang an den Maximalwert von 30 Stunden angesetzt", sagt Silvia Gruß, Studierendenvertreterin im Akademischen Senat. Die Beschlüsse müssen jedoch von den einzelnen Fächern umgesetzt werden. Unis sind träge Institutionen; bis sich etwas verändert, braucht es viel Zeit.
Doch sowohl Gruß als auch Mitglieder der Studierendenvertretung haben kaum noch Kontakt zu den derzeitigen Mensa-Bewohnern. Fehlt den Besetzern eine Exit-Strategie? Nein, meint ein HU-Besetzer. "Das Aussteigen wäre schon leicht." Aber es gebe noch eine große Zahl an Fragen die geklärt, an Missständen, die behoben werden müssten, bevor er gehen würde.
Damit es nach den Semesterferien weitergeht, ist in der zweiten Aprilhälfte eine bundesweite Aktionswoche geplant. Hinter den Worten "auch in Berlin" steht derzeit noch ein Fragezeichen.
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