: Avantgarde anders
■ Mehr als nur Laientheater: Die Top Ten, ab heute im TiK zu sehen, gehen neue Wege
Kneipenatmosphäre kennzeichnet stets reichlich Qualm und Dezibel. Dazwischen wabert meist der eine oder andere Wunsch, eine nette bis aufregende Bekanntschaft zu machen. In diesem Dunstkreis menschlichen Tuns ist auch der Hauptaspekt des Theaterprojekts Top Ten angesiedelt – eine weitere Produktion aus der Zusammenarbeit vom Thalia Treffpunkt und dem Verein „Leben mit Behinderung“. Für das Projekt verantwortlich zeichnet Theaterpädagogin Simone Bauer, die mit ihren Work-shop-TeilnehmerInnen im Alter von 14 bis 36 eine Szenerie rund ums „Anbaggern“ entwarf.
Das klappt zu den Klängen des Lieblingsliedes, das aus einer Musikbox dröhnt, natürlich am besten: die Cats-Schmalze Moonlight säuselt, Matthias Reim braust leidenschaftlich Verdammt, ich lieb-dich und auch die Kelly Family wird bedacht. Obwohl als integrativer Workshop für Behinderte und Nicht-Behinderte ausgeschrieben, sind in der jetzigen Gruppe einzig Behinderte engagiert. Bauer bedauert diese Tatsache nicht: „Der Gruppe fehlt nichts“, stellte sie schon kurz nach Probenbeginn fest. Trotzdem findet sie es natürlich schade, daß die Anmeldungen von Nicht-Behinderten mehr und mehr ausbleiben.
Die Pädagogin sieht dafür zwei Ursachen: Zum einen gebe es eine gesamtgesellschaftliche Distanz zu Menschen mit Behinderung. Zum anderen wollen viele die Work-shops als Vorbereitung für die Schauspielschule nutzen. Nicht selten kollidieren diese Ansprüche dann mit den Anforderungen, die die Arbeit mit Behinderten mit sich bringt. „Da muß man sich ganz anders einbringen“, bestätigt auch Corinna Honold, Regisseurin des Stückes Meer, Krug, Wahnsinn. In der neudeutschen Sehnsucht nach garantiertem Freizeit-Fun hat tiefgreifender persönlicher Einsatz keinen Platz.
Doch zurück zu den Kennenlernspielchen: „Jetzt ist sie weg, und ich bin wieder allein“, erläuterte einst ein Fanta-4-Hit, bei dessen Abspielen sich immer wieder einhellig-resigniertes Kopfnicken und inbrünstiges Mitsingen beobachten ließ. Von Top Ten wiederbelebt, taucht diese Erkenntnis auch bei einem im Paargerangel abgeblitzten Herren auf. Doch wie im wahren Leben finden zwei Menschen auch mal längerfristigen Gefallen aneinander. Bis es soweit ist, darf zu I-m a big, big girl und Hyper, hyper noch ordentlich gerockt werden. Liv Heidbüchel
Premiere: heute, 20 Uhr, TiK. Außerdem am 18., 25. und 30. Juni sowie am 1. Juli, jeweils 20 Uhr.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen