Autorin Rebecca Skloot über HeLa-Zellen: "Wir haben hier die Zellen Ihrer Frau"

Die Afroamerikanerin Henrietta Lacks starb vor 60 Jahren und wurde zum ewigen Versuchskaninchen. Die US-Autorin Rebecca Skloot hat ihr Leben studiert.

In der Petrischale gezüchte menschliche Zellen. Bild: dpa

Frau Skloot, wie würde die Welt ohne die Zellen von Henrietta Lacks heute aussehen?

Rebecca Skloot: Ohne die Forschung an den Zellen wäre die Welt sicher um einige Millionen Menschen ärmer. Die Zellen wurden in der Entwicklung von Impfstoffen gegen Kinderlähmung, Medikamenten gegen Parkinson und auch für die wichtigsten Krebsmedikamente verwendet. Unser Genom wäre ohne die HeLa-Zellen nicht so gut erforscht. Auch die In-vitro-Fertilisation wurden damit entwickelt, die künstliche Befruchtung. Ich kenne Menschen, die ohne die Zellen von Henrietta gar nicht existieren würden.

Was an diesen Zellen ist so besonders?

Henriettas Zellen waren die ersten, die sich außerhalb des Körpers unendlich vermehren ließen. So konnte man zum ersten Mal überhaupt an menschlichen Zellen forschen.

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Die Frau: Henrietta Lacks war eine afroamerikanische Tabakarbeiterin in Virginia, USA. 1951 starb sie im Alter von 31 Jahren an Gebärmutterhalskrebs, sie hatte fünf Kinder. Lacks Geschichte soll nun auch verfilmt werden.

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Die Zellen: Mit den HeLa-Zellen gelang in den fünfziger Jahren der Durchbruch in der Zellforschung. Zusammen würden alle Zellen von Henrietta Lacks, die jemals gezüchtet wurden, mehr als 50 Millionen Tonnen wiegen.

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Die anderen: Mittlerweile gibt es viele solcher Zelllinien. Die Zellen von Henrietta Lacks wachsen aber auch heute noch in nahezu jedem Labor der Welt.

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REBECCA SKLOOT, 38, hat Biologie und kreatives Schreiben studiert. Sie ist Wissenschaftsjournalistin und Bloggerin. Skloot bringt an der University of Memphis und der University of Pittsburgh Naturwissenschaftlern kreatives Schreiben bei. "Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks" ist ihr erstes Buch, in den USA landete es in den Top Ten der New-York-Times-Bestsellerliste. Am 20. September ist ihr Buch im Irisiana Verlag auf Deutsch erschienen.

Warum vermehren sich die Zellen von Henrietta Lacks?

So genau kann sich das immer noch niemand erklären. Henrietta war mit dem HP-Virus infiziert, so hat sie Gebärmutterhalskrebs bekommen Sie hatte auch Syphilis. Beide Erreger können dafür sorgen, dass Zellen schneller wachsen. Doch das allein kann nicht der Grund sein.

Die HeLa-Zellen existieren sechzig Jahre nach Lacks Tod immer noch, in tausenden Forschungslabors. Gibt es Menschen, die in ihnen den Schlüssel zum ewigen Leben suchen?

Einige Leute haben die Zellen tatsächlich auf diese Art betrachtet, haben gehofft, man könnte von ihnen lernen, unsterblich zu werden. Aber das können die Zellen nicht leisten.

Was steckt denn in den Zellen von Menschen?

Zunächst einmal die DNA, also eine Menge an Informationen über uns. Religiöse Menschen denken manchmal, es stecke der Geist des Menschen darin. Auch Henriettas Familie glaubt, dass sie als Engel in den Zellen weiterlebt.

Als die Ärzte in Baltimore 1951 kurz vor ihrem Tod Zellproben von Henrietta entnahmen, erfuhr sie davon nichts. Warum?

Das war damals normale Praxis. Nach den Nürnberger Prozessen gab es zwar in der internationalen Forschergemeinde das Abkommen, niemals ohne deren Wissen an Menschen zu forschen. Doch man hat nicht darüber nachgedacht, dass das auch für menschliche Zellen außerhalb des Körpers gelten sollte.

Was wäre damals anders gelaufen, wenn Henrietta nicht schwarz gewesen wäre?

Das ist schwer herauszufinden. Gestorben wäre sie sowieso. Aber die Behandlung wäre wahrscheinlich besser und ihr Tod dadurch weniger schmerzvoll gewesen. Und sicherlich war es damals einfacher, Zellen von Schwarzen zu nehmen und daran zu forschen. Ärzte behandelten arme Menschen kostenlos, und die waren meist schwarz. Dabei herrschte wohl so eine Art Grundverständnis: Wenn wir euch umsonst behandeln, könnt ihr uns dafür Zellen zum Forschen geben.

Wann hat Henriettas Familie von alldem erfahren?

Über zwanzig Jahre später, in den Siebzigern. Zu dem Zeitpunkt wussten sie aber nicht einmal, was eine Zelle ist. Wissenschaftler sind damals noch einmal auf Henriettas Kinder und ihren Ehemann zugekommen, weil sie weiter an den Zellen der Familie forschen wollten. Ein Wissenschaftler rief bei David, Henriettas Ehemann, an und sagte: "Wir haben hier die Zellen Ihrer Frau und forschen damit." David dachte, seine Frau würde noch leben und Wissenschaftler hätten sie in eine Zelle gesperrt, um an ihr zu forschen. Und nun, dachte er, wollten sie das Gleiche mit seinen Kindern machen.

Wie kam er auf diesen Gedanken?

Das hat mit der Geschichte der Schwarzen in den USA zu tun: Während der Sklaverei wurde an ihnen alles Mögliche getestet. Bis in die Vierziger haben Ärzte Tausende von Schwarzen, die mit Syphilis infiziert waren, rekrutiert, um den Verlauf der Krankheit zu studieren. Die Ärzte ließen sie reihenweise vor ihren Augen sterben, auch als man Syphilis längst mit Antibiotika behandeln konnte. Das alles kam in den Siebzigern heraus, es war groß in den Medien. In ebendieser Zeit bekam David den Telefonanruf. Für ihn war klar: So etwas machen Wissenschaftler.

Sie haben zehn Jahre an dem Buch gearbeitet, haben Zeitungsartikel gesammelt, Henriettas Familie ausfindig gemacht, Ihre Tochter in die Klinik gebracht, in der Henrietta gestorben ist. Sind sie besessen von Henrietta?

Irgendwie schon. Besessen von den Zellen. Durch meine eigene Situation konnte ich mich gut in die von Henrietta und ihrer Familie hineindenken. Mein Vater ist Jude, ein großer Teil meiner Familie ist im Konzentrationslager in Polen gestorben. Ich las vieles über die Versuche, die die Nazis an Juden gemacht haben. Irgendwann habe ich gemerkt, dass die Geschichte in den USA ähnlich ist: Die Forschung, die an Sklaven gemacht wurde, war ebenso unmenschlich.

Sie schreiben in Ihrem Buch, dass es mehr als 17.000 Patente und 60.000 Forschungsergebnisse gibt, die auf HeLa-Zellen basieren. Menschen werden reich durch Henriettas Zellen, erwirtschaften Millionenprofite. Wie geht es der Familie Lacks finanziell?

Henriettas Familie kann sich noch immer keine Krankenversicherung leisten. Sie leben in sehr armen Verhältnissen. Was das Geld betrifft, sind sie immer noch wütend über die Situation. Die Familie hat unter alledem schwer gelitten. Darunter, dass Henriettas Krankenakte veröffentlicht wurde, dass keine ihrer Fragen beantwortet wurden.

Haben Firmen, die von den HeLa-Zellen profitierten, der Familie Geld gezahlt?

Bisher nicht. Sie haben wohl Angst vor einem Präzedenzfall.

Profitiert die Familie Lacks denn von Ihrem Buch?

Ja, sie bekommen Anteile vom Erlös. Und ich habe die Henrietta Lacks Stiftung gegründet. Sie soll sich um die Gesundheitsversorgung der Familie kümmern, und Nachkommen von Henrietta das College finanzieren. Ich habe auch gehofft, dass Firmen, die viel Geld mit Henriettas Zellen gemacht haben, etwas spenden. Bisher sind aber noch keine größeren Summen eingegangen.

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