Autorin Heike Kleen über Menstruation: „Tampons wurden versteckt“
Heike Kleen hat ein Buch über Menstruation geschrieben. Ein Gespräch über Mythen, Halbwissen und die Frage, wieso das Thema heute wieder tabu ist.
taz: Frau Kleen, haben Sie gerade ihre Tage?
Heike Kleen: Ja, dritter Tag. Wie Sie sehen, bin ich auf unser Gespräch gut vorbereitet.
Und ich habe gerade einen Tabubruch begangen: Über die Menstruation, so schreiben Sie in ihrem „Tage-Buch“, spricht man nicht – schon gar nicht als Frau mit einem fremden Mann.
Von einem Mann darauf angesprochen zu werden, ist schon sehr ungewöhnlich. Wenn überhaupt, dann sprechen Frauen darüber, die sich gut kennen.
Als Mann darf ich naiv fragen: Ist Menstruation auch zwischen Frauen ein Tabuthema?
Mit einer guten Freundin, der Schwester oder Mutter kann man natürlich drüber reden, aber – in der Öffentlichkeit – meist hinter vorgehaltener Hand. Es gibt auch Frauen, die sagen: Ich rede da ganz offen drüber. Ich glaube nicht, dass das für die Mehrheit der Frauen gilt. Vor allem nicht, wenn es um extrem starke Blutungen oder Regelschmerzen geht. Viele Frauen kommen gar nicht auf die Idee, einen Arzt aufzusuchen und herauszufinden, ob das auch schmerzfreier geht. Auch deshalb muss man über die Tage reden.
… die nach wie vor selten beim Namen genannt werden.
„Menstruation“ ist auch kein schönes Wort. „Erdbeerwoche“, „Tante Rosa“, „Maler im Keller“, „ein Baumwollkamel reiten“ – all das sind gängige Euphemismen. Ihre Vielzahl zeigt, dass wir über etwas reden wollen, aber die dazugehörigen Begriffe nicht aussprechen mögen.
42, Journalistin und Autorin, schreibt in ihrem "Tage-Buch" auf 238 Seiten über Menstruation. Die gebürtige Ostfriesin lebt mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern in Buchholz in der Nordheide.
Wie sind Sie auf die Idee gekommen, ein Buch über die Menstruation zu schreiben?
Eine Freundin, die mit einem Dänen verheiratet ist, erzählte mir, dass in Dänemark und Schweden ganz offen über die Menstruation geredet wird. Das Thema war mir unangenehm und ich dachte: Okay, man blutet alle vier Wochen, sieht zu, dass man was dagegen tut, sodass es keiner mitbekommt. Was aber gibt’s da zu reden? Dann habe ich angefangen zu recherchieren und gemerkt: Da gibt es viel zu besprechen.
Wie haben Ihr Mann und Ihre Freundinnen darauf reagiert, als die erfahren haben, dass Sie dieses Thema zu einem Buch machen wollen?
Mein Mann hat sich erst mal ein bisschen gewundert. Ich habe ihm dann jeden Tag erzählt, was ich alles Neues in Erfahrung gebracht habe.
Das wollte er auch alles hören?
Er musste, er hatte keine andere Wahl. Die meisten meiner Freundinnen fanden das Buchprojekt gut, aber eine gute Freundin hat zu mir gesagt: Lass es lieber, wer weiß, was da für ein Shitstorm auf dich zurollt. Der ist bisher aber ausgeblieben. Bei meinem Vater habe ich mit dem Gespräch gewartet, bis ich den Buchvertrag in der Tasche hatte. Nur drei Prozent aller Töchter sprechen, nach dem was wir wissen, mit ihren Vätern über das Thema und auch ich habe es erst mit Anfang 40 gemacht.
Wie hat er reagiert?
Aufgeschlossen und auch sehr entspannt. Er wusste bis dato aber nicht einmal, dass ich meine Tage bereits mit elf Jahren bekommen habe.
Waren Sie damals eigentlich darauf vorbereitet?
Ich war so gar nicht vorbereitet. Ich hatte eine vier Jahre ältere Schwester, von deren Menstruation ich überhaupt nichts mitbekommen habe, ebenso wenig wie bei meiner Mutter. Tampons wurden bei uns zu Hause sorgsam versteckt. Als ich zum ersten Mal meine Tage bekommen hatte, konnte ich das nicht einordnen. Meine Mutter hat dann Binden aus einer Ecke des Hauses hervorgezaubert, die ich nicht kannte und mich dann aufgeklärt. Erst da erfuhr ich, dass ich jetzt jeden Monat meine Regel haben werde – willkommen im Leben.
Haben Sie daraus etwas im Umgang mit Ihren eigenen Kindern gelernt?
Zunächst nicht. Als mein Sohn als Dreijähriger mit einem Tampon in der Hand vor mir stand und fragte „Mama, was ist das?“ habe ich geantwortet: „Wenn man mal ganz doll Nasenbluten hat, kann man den benutzen.“ Was eine ziemlich bescheuerte Antwort war. Ich hatte keine Lust, dieses ganze Fass aufzumachen. Im Zusammenhang mit meinen späteren Recherchen, habe ich einen Aufklärungscomic aus Schweden bestellt. Da wird die Menstruation ganz sachlich beschrieben. Meine Kinder sind inzwischen völlig unaufgeregt bei dem Thema.
Welchen Aufklärungsgrad stellen Sie bei Männern fest: Wo gibt es da Bildungslücken?
Ich habe Männer zu diesem Thema interviewt. Die meisten wissen schon, dass da einmal im Monat was los ist, dass viele Frauen dann doof drauf und zickig sind und dass das was mit Blut zu tun hat …
Das klingt jetzt aber nicht nach wirklichem Hintergrundwissen.
Hintergrundwissen existiert da auch eher wenig. Was da genau passiert und warum, das wissen die wenigsten Männer.
Wie wäre es denn, wenn Männer die Tage bekämen?
Da hat Gloria Stein, eine amerikanische Feministin, bereits in den 1970-Jahren einen wunderbaren Artikel geschrieben: „If Man could menstruate“. Sie sagt, wenn Männer menstruieren könnten, würden sie sich dafür abfeiern. Und die größten Tampons benutzen, sie würden sagen, die kleinen sind was für Anfänger, ich habe drei Tage geblutet und es überlebt. Es würde Erholungstage und vermutlich auch extra Sitzplätze im Bus für menstruierende Männer geben. Die Hygieneartikel würden ganz sicher von der Krankenkasse bezahlt werden.
Was sollten Männer unbedingt über die Menstruation wissen?
Die sollten wissen, dass sie sinnvoll für den weiblichen Körper ist, was sie mit Fruchtbarkeit zu tun hat, dass sie kein bisschen eklig ist und dass sie nicht stinkt. Wenn Frauen schlecht drauf sind oder launig, könnten sie ein bisschen einfühlsamer und verständnisvoller sein. Wir können nichts dafür, es sind die Hormone!
In der Werbung ist das Thema ja nicht tabu: Dort menstruieren Frauen mit sehr viel Schwung.
Die Frauen in der Tampon-Werbung sind extrem gut drauf und aktiv, tanzen die ganze Nacht oder springen gutgelaunt morgens aus dem Bett und fliegen nur so durch den Tag. Wenn das der Effekt wäre, würde ich jede Nacht einen Tampon tragen. Es wird aber nicht erklärt, wozu die Produkte wirklich da sind und überall ist eine merkwürdig blaue Testflüssigkeit allgegenwärtig, deren einzige Aufgabe es ist, sich vollständig aufsaugen zu lassen. Was die Werbung verschweigt: Viele dieser Produkte sind nicht unbedenklich.
Warum?
Binden haben die gleichen Grenzwerte für Giftstoffe wie Taschentücher. Einen Tampon aber habe ich mehrere Stunden im Körper direkt an den Schleimhäuten. Wir Frauen benutzen solche Produkte zusammengerechnet sechs Jahre unseres Lebens. Wenn ich mir so lange Chemiebomben in meinen Unterleib schiebe, kann das nicht wirklich gut sein. Es gibt seriöse Untersuchungen über einen Zusammenhang zwischen Gebärmutterhalskrebs und der Benutzung von Tampons.
Was ist da alles drin?
Baumwolle wird oft mit Glyphosat behandelt und dann mit Chlor gebleicht – konventionelle Baumwolle gilt als die am meisten mit Pestiziden und Insektiziden behandelte Pflanze. Zellulose wiederum wird mit Natronlauge behandelt. In vielen Produkten schlummert zudem Dioxin, Formaldehyd lauert in den Verpackungen und die Klebestreifen strotzen nur so vor gesundheitsgefährdenden Phthalaten. Zudem machen die Tampons die Klärwerke kaputt, weil immer noch viele Frauen die Dinger ins Klo schmeißen. Die müssen extra rausgefischt werden.
Gibt es Alternativen?
Ja, Biotampons. Als ich das zum ersten Mal gehört habe, dachte ich: Ich brauche wirklich nicht noch Öko-Tampons mit dem Siegel vegan, lactose oder glutenfrei. Als ich mich näher mit dem Thema beschäftigt habe, hat sich diese Haltung verändert. Ich habe Biotampons und Stoffbinden ausprobiert. Und natürlich gibt es die Alternative Menstruationstasse aus Silikon: Die kauft man einmal, kann sie zehn Jahre lang benutzen und belastet den eigenen Körper und die Umwelt deutlich weniger.
Sie kennen aus Ihrem beruflichen Hintergrund viele Talkshow-Redaktionen. Wurden Sie da mit offenen Armen empfangen?
Viele Talkshow-Redaktionen waren zunächst sehr offen und fanden, das ist ein Super-Thema, für das die Zeit reif ist. Aber fast immer setzten sich in den Redaktionen dann die Männer durch, die meinten: Dieses Thema können wir unseren Zuschauern nicht zumuten, Man talkt über die Psyche von Serienmördern, aber öffentlich über die Menstruation zu sprechen, ist offenbar zu schwierig.
Sie schreiben auch über Mythen in Bezug auf die Menstruation. Existieren die noch in der Gegenwart?
Schon bei den alten Griechen stand Blut für Krankheit – da war also was nicht richtig bei den Frauen. Sie wurden als schadhafte Männer begriffen. In fast allen Religionen findet sich der Grundgedanke, dass die Frau während ihrer Tage unrein ist. Diese Mythen haben sich über Jahrtausende gehalten und sind noch immer nicht ganz aus allen Köpfen raus. Noch bis in die 1970er-Jahre wurde in Deutschland diskutiert, ob Frauen während ihrer Tage Blut spenden oder im Röntgenlabor arbeiten dürfen.
Dabei waren die 70er-Jahre die Zeit der sexuellen Revolution.
Ich habe auch den Eindruck, das Thema war damals weniger tabuisiert als heute. Die Frauen haben sich sexuell eher ausgelebt, und waren entspannter mit ihrem Körper. Botox, Schlankheitswahn und die richtige Intimfrisur waren noch keine Themen. Gleichzeitig hatten sie noch stärker mit alltäglichem Sexismus zu kämpfen.
Sie fordern einen entspannteren Umgang mit dem Thema Menstruation. Sind sie denn selbst auch entspannter geworden?
Ja. Dass ich mit einem Mann, den ich kaum kenne, so entspannt wie gerade jetzt über dieses Thema spreche, hätte ich mir vor zwei Jahren kaum vorstellen können. Wenn ich über etwas rede, kann ich lernen, und als Frau auch Tipps bekommen. Die nächste Generation wird davon sicher profitieren können. Wenn meine Tochter so unverkrampft nach einem Tampon fragt wie nach einem Taschentuch, ist es entspannt. Und nur wenn wir über die Menstruation reden, interessieren sich auch die Forschung und die Wirtschaft für uns Frauen – und es bewegt sich etwas zu unseren Gunsten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen