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Autor zu Haitis Kolonialgeschichte"Die letzten Tage der Sklaverei"

Der New Yorker Autor Ned Sublette ist ein Kenner der Kolonialgeschichte. Nach dem Erdbeben fordert er ein besseres Verständnis für Haiti und engere Zusammenarbeit beim Wiederaufbau.

Der Flughafen in Port-au-Prince ist nach dem Anführer des Sklavenaufstands von 1791 benannt. Bild: reuters
Julian Weber
Julian Weber
Interview von Julian Weber und Julian Weber

taz: Mr Sublette, die Handelsroute Havanna-New Orleans war Hauptverkehrsader im Golf von Mexiko bis zum US-Embargo gegen Kuba, das seit 1962 in Kraft ist. Wurde die haitianische Wirtschaft davon in Mitleidenschaft gezogen?

Ned Sublette: Haiti war bereits vorher Opfer einer Blockadepolitik, die weit schlimmer wiegt als das US-Embargo gegen Kuba. Aber es steht außer Frage, dass das Embargo den freien Warenverkehr in der gesamten Region beeinträchtigt hat. Die USA hatten nie gesteigertes Interesse an Haiti als souveränem Staat. Auf Verlangen von Thomas Jefferson, der einmal von den Haitianern als den "Kannibalen" sprach, wurde Haiti schon seit 1804, dem Moment seiner Staatsgründung, von den USA boykottiert. Die Anerkennung erfolgte erst 58 Jahre später unter Präsident Abraham Lincoln, der Haiti als Schlupfloch betrachtete, wohin man Afroamerikaner abschieben könnte.

Ned Sublette

ist der Autor von "The Year before the Flood: A Story of New Orleans" (Lawrence Hill Books), "The World that made New Orleans: From Spanish Silver to Congo Square" (Chicago Review Press) und "Cuba and its Music: From the First Drums to the Mambo" (Chicago Review Press). Er hat die Karibik für seine Studien oft bereist.

Bekannt ist der 59-jährige New Yorker auch als Musiker. Sein Album "Cowboy Rumba" hat er zusammen mit kubanischen Musikern eingespielt. Der Countrystar Willie Nelson hat seinen Song "Cowboys are frequently secretly" gecovert.

Momentan arbeitet er an einem neuen Album namens "Kiss you down South" und schreibt an einem Buch über Haiti. (jw)

Warum wurde der Sklavenaufstand von 1791 unter Toussaint Louverture in Saint-Domingue (wie Haiti damals hieß) als direkte Bedrohung für die segregierenden Südstaaten der USA bewertet?

Die Sklaven haben sich gegen ihre Halter erhoben und diese getötet, um das Unrechtssystem der Sklaverei insgesamt zu beseitigen. Vier der fünf ersten US-Präsidenten waren Sklavenhalter, und sie haben die Abschaffung der Sklaverei in Haiti als ernsthafte Bedrohung ihres Lebensstils angesehen.

Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Sklavenaufstand in Haiti und dem Zeitalter der Aufklärung?

Dass der Sklavenaufstand unter Toussaint Louverture eine Begleiterscheinung des Zeitalters der Aufklärung ist, hat zuerst der karibische Marxist C. L. R. James in seinem Buch "The Black Jacobins" (1938) diskutiert. James argumentierte mit Nachdruck, die haitianische Revolution als Teil der Weltgeschichte anzuerkennen. Es gibt zahllose Bücher über die Französische Revolution, die mit keiner Silbe erwähnen, dass die Geschehnisse in Haiti ihre radikalste Errungenschaft sind: die vollständige Abschaffung der Sklaverei. Toussaint Louverture kannte die Hauptwerke der Aufklärung. Die von ihm angeführte Erhebung war kein blindwütiger Aufstand, sondern eine zielgerichtete Aktion, die auf den Grundannahmen der Aufklärung beruht.

Welche Konsequenzen hatte der haitianische Sklavenaufstand?

Die Abschaffung der Sklaverei löste in Frankreich eine Rezession aus. Frankreich und England verloren weit über 10.000 Soldaten in Haiti, und diese traumatische Erfahrung beschnitt ihre Ambitionen, mit Plantagen, auf denen Sklaven arbeiten, Geld zu verdienen. Schließlich brachte Napoleon die Niederlage in Haiti auch dazu, Louisiana an die USA zu verkaufen. Er musste seinen Plan, die Sklaverei in Haiti wiedereinzuführen, begraben und damit auch die Idee von Louisiana als französischer Nachschubbasis.

Toussaint Louverture wird als tragische Gestalt charakterisiert, der sich vom Unterdrückten zum Unterdrücker wandelt. Ist das ein Muster, das sich durch die haitianische Geschichte zieht?

Ich sehe in der Figur Toussaint Louvertures keine Hybris. 1795 war die haitianische Revolution bereits Geschichte. Saint-Domingue wurde zu einer Art französischem Überseedepartement mit autonomen Status unter Führung Louvertures. Dann schickte Napoleon 1802 eine riesige Streitmacht über den Atlantik, ließ die Insel bis auf die Grundmauern niederbrennen, tötete massenhaft Schwarze und nahm Louverture in Gefangenschaft. Er starb in einem französischen Kerker. Falls Sie auf den ehemaligen haitianischen Präsident und Armenpriester Jean-Bertrand Aristide ansprechen, dem Korruption unterstellt wird, sollten Sie diese Anschuldigungen auch einmal im Lichte einer finsteren Diffamierungskampagne betrachten, die es gegen Aristide vonseiten der religiösen Rechten in den USA und ihrer Helfershelfer gegeben hat.

Warum haben Sie den Aufstand gegen die Sklaverei einmal als soziales Erdbeben bezeichnet?

Als die Erklärung der Menschenrechte das prärevolutionäre Haiti erreichte, führte dies zu einer vollständigen Umwälzung der Gesellschaft.

Jetzt hat ein gewaltige Erdbeben Haiti dem Erdboden gleichgemacht.

Es gibt dort schlichtweg nichts, was die Effekte des Erdbebens hätte mindern können. Das Beben wäre auch anderswo fatal gewesen, weil die Erdstöße ungewöhnlich knapp unter der Erde lagen. Dass die meisten Gebäude in Haiti nicht so gebaut sind, dass sie Erdstößen an sich standhalten können, ist aber vor allem ein soziales Desaster.

Der haitianische Botschafter in der Bundesrepublik, Jean Robert Saget, hat einen Marshallplan für sein Land gefordert. Wie könnte so ein Plan in einem Land aussehen, in dem es kaum noch Industrie gibt?

Die Zeit für Experimente mit der freien Marktwirtschaft ist abgelaufen. Zumal Haiti schon vor dem Erdbeben zu Tode privatisiert wurde. Jetzt muss man ihnen beim Wiederaufbau eines funktionierenden Staates helfen. Haiti muss mit ortsansässiger Arbeitskraft wiederaufgebaut werden, und nicht mit einer korporativen Invasion, wie es sie in New Orleans nach dem Hurrikan "Katrina" gab. Dort wurden ortsansässige Afroamerikaner vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen und Mitarbeiter mit politischen Verbindungen bevorzugt eingestellt. Egal wie man zu Jean-Bertrand Aristide steht, ihm muss die Rückkehr nach Haiti gestattet werden, und seiner Partei Lavalas muss erlaubt werden, bei den nächsten freien Wahlen teilzunehmen.

Spielt die haitianische Revolution in der Region heute noch eine Rolle?

Das Bild der haitianischen Revolution ist vor allem in Kuba wirkmächtig. Speziell im Osten Kubas ist das Andenken an die haitianische Revolution tief verwurzelt. Dorthin gelangte 1803 auch ein Exodus haitianischer Flüchtlinge, die vor den napoleonischen Schlächtern geflüchtet waren. Die kubanische Unabhängigkeit wurde 1895 nicht zufällig zuerst im Osten erkämpft. 80 Prozent der Kämpfer hatten schwarze Hautfarbe. Genau in dieser Region begann auch Fidels Guerillakampf. C. L. R. James war es, der Fidel Castro einmal mit Toussaint Louverture verglichen hat.

Man weiß von der reichhaltigen kubanischen Musikkultur, gibt es Vergleichbares in Haiti?

Es war die haitianische Revolution, die in der ganzen Region eine kulturelle Explosion auslöste! Ihre Auswirkungen sind überall zu spüren: Haiti ist tief in kubanischer Musik verankert. Ich will Ihnen ein Beispiel nennen: Der Vier-Achtel-Rhythmus, bam ba-bam ba-bam, in Haiti als cata bekannt, heißt in Kuba cinquillo. Er ist die Basis von populären Genres wie danzón und bolero. Es gilt als sicher, dass dieser Rhythmus auf Saint-Domingue seinen Ursprung hatte. Zusammen mit den Trommeln pflanzte sich das Symbol von Revolution und Widerstand fort. Überall auf den Antillen wird das in den Gesellschaften reflektiert. Ob in Guadeloupe oder auf St. Lucia. Es gibt dort den Brauch, dass sich Festgesellschaften im Stile französischer Salons des späten 18. Jahrhunderts kleiden und Musik spielen, von contredanse bis zu afrikanischen Trommeltänzen. Damit wird des Moments der Wahrheit gedacht: die letzten Tage der Sklaverei in Saint-Domingue.

Warum tut eine Auseinandersetzung mit haitianischer Kultur not?

Ein besseres Verständnis der haitianischen Kultur ist essenziell, denn in den Massenmedien wird ein schiefes Bild gezeichnet. Im schlimmsten Fall entsteht dabei das, was die Autorin Michelle Chen als "rassistisches Spektakel" bezeichnet hat. So hat die New York Times behauptet, Haitis Probleme seien durch "Voodoo" entstanden und durch mangelnde Kindererziehung.

Wie denken Sie über die Entsendung von US-Truppen nach Haiti?

Ich hoffe für Präsident Obama, dass die jetzige Mission allein humanitären Zwecken dient und den Frieden in Haiti herstellt. Am Effektivsten arbeiteten bisher Hilfsorganisationen, die bereits vor dem Erdbeben in Haiti tätig waren. Paul Farmers Partners in Health etwa. Oder die kubanischen Ärztemission, die jetzt Unterstützung vom Katastrophendienst der Henry Reeve Brigade erhält. Auch US-Medizinstudenten, die an der kubanischen Hochschule Elam studieren, sind sofort ins Erdbebengebiet gereist, um zu helfen.

Wäre die Erdbebenkatastrophe nicht ein guter Anlass für Kuba und die USA, enger zusammenzuarbeiten?

Diese Möglichkeit besteht schon länger, aber die USA nehmen sie bis jetzt noch nicht wahr.

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5 Kommentare

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  • H
    hto

    "Die letzten Tage der Sklaverei" - "Die glücklichen Sklaven sind die erbittertsten Feinde der Freiheit." (Marie von Ebner-Eschenbach)

     

    Solange die Mär vom "freiheitlichen" Wettbewerb existiert, wird Sklaverei immer nur einen anderen Namen bekommen - "Dienstleistungsgesellschaft"

  • R
    rugero

    Sicher braucht Haiti jetzt Hilfe in jeder Form um die größte Not zu lindern !!

     

    Vor allem aber braucht Haiti eine wirkliche Langfristperspektive für die Zukunft. Dazu gehört die Frage der Ernergieversorgung zu bezahlbaren Preisen, um die Abholzung zu stoppen ebenso wie ein Anreiz für die einheimische Landwirtschaft Lebensmittel zu produzieren, die auch verkaufbar sind und nicht vergammeln, weil subventionierte Importe die Preise verderben.

    Solange ich zurückdenken kann, gibt es in Haiti korrupte, von westlichen Industriestaaten gestützte Präsidenten/Diktatoren, die das Land ausbluten unter den offen Augen der Politiker in aller Welt, die jetzt mit Betroffenheitsmine Reissäcke schicken.

  • A
    Anna

    Ein wirklich interessantes Interview, sowas liest man nicht in jeder Zeitung.

  • W
    www

    die brauchen kein geld verdammt!

    die brauchen einfach menschen diedenen dort helfen.. die infrastruktur in gang zu bringen, die versorgung aufzubauen etc. natürlich kostet das irgentwo geld... aber das muss nicht erst irgentwo gespendet werden! als ob die vereinten nationen und ein haufen anderer organisationen nicht jeder zeit die nötigen mittel hätten um einen wirklich positiven impuls zu setzen!!

     

    und zur geschichte haitis.. was im artikel nicht ganz behandelt wurde:

     

    der erste demokratisch gewählte president wurde durch einem militärputsch beseitigt, tatkräftigt unterstützt von einer terrororganisation namens "Jean-Bertrand Aristide", welche mit durch die usa egründet wurde.

     

    http://de.wikipedia.org/wiki/Jean_Bertrand_Aristide

  • M
    Moser

    Auf fast jedem Sender im Fernseher schreit einem ein Spendenkonto an. Man hat das Gefühl, dass ein regelrechter Wettkampf um die höchsten Spendengelder ausgebrochen ist. Vorweg, ich finde es gut, dass hoffentlich den Menschen in Haiti geholfen wird. Schlecht an den Spendenwettbewerben ist, das der Journalismus auf der Strecke bleibt. Mir fehlt in jedem Sender (auch in jedem Blatt) mal die Info, dass seit einiger Zeit die Luxusdampfer außerplanmäßig im Hafen von Haiti festmachen, für ein eintägiges sightseeing der Touris im Krisengebiet. Danach schmeckt der Kaviar an Bord dann wieder viel besser.