Autor Steinhöfel über Jugendliteratur: "Auf Augenhöhe schreiben"
Kinder sind unbestechlich, sagt der Autor Andreas Steinhöfel. Deswegen dürfen Kinderbücher nicht didaktisch sein.
taz: Herr Steinhöfel, seit 1991 haben Sie 19 Bücher geschrieben, viele davon hoch gepriesen. Trotzdem war es nicht geplant, dass Sie Autor wurden. Wie ist das passiert?
Der Papa von Rico
Andreas Steinhöfel ist Übersetzer, Drehbuchautor und Rezensent. Er studierte in Marburg Anglistik, Amerikanistik und Medienwissenschaften. Bekannt geworden ist der 1962 in Battenberg Geborene als Autor preisgekrönter Kinder- und Jugendbücher. Sein Jugendroman und Bestseller "Die Mitte der Welt" sowie dessen Nachfolger "Defender" und sein Kinderbuch "Rico, Oskar und die Tieferschatten" landeten auf der Nominierungsliste des Deutschen Jugendliteraturpreises. Der zweite Band der Rico-Reihe "Rico, Oskar und das Herzgebreche" ist im Frühjahr erschienen. Nach Peter Rühmkopf, Loriot, Robert Gernhardt und Tomi Ungerer erhielt Steinhöfel in diesem Jahr den Erich-Kästner Preis für Literatur. Am 25. Juni erhält er für sein Kinderbuch "Rico, Oskar und die Tieferschatten" den Katholischen Kinderbuchpreis. SW
Andreas Steinhöfel: Durch einen Zufall. Ich hatte mich über ein Kinderbuch aufgeregt, das mein Bruder illustrieren sollte. Also schrieb ich dem Verlag: Das kann ich besser. Und Carlsen antwortete: Na, dann schreiben Sie mal was. Das habe ich gemacht. Seitdem verdiene ich mein Geld damit, Bücher für Kinder und Jugendliche zu schreiben.
Sie haben aber auch bei Erwachsenen Erfolg. Wie machen Sie das?
Die meisten Leute haben ganz falsche Vorstellungen davon, wie man Kinderbücher schreibt. Die Deutschen besonders. Es gibt ja wirklich viele Leute, die denken: Ich habe was erlebt, das für Kinder interessant sein könnte - jetzt schreibe ich auch mal ein Kinderbuch. Das geht oft ziemlich in die Hosen.
Wieso?
Die Leute meinen tatsächlich, ein Kinderbuch könne jeder schreiben. Und Kinderbücher müssten lehrreich sein.
Ist das nicht so?
Nein, in England gelten Kinderbücher als wirkliche Literatur. Man muss sich dort nicht ständig dafür rechtfertigen, dass man "nur" für Kinder und Jugendliche schreibt. Die mangelnde Anerkennung findet sich in Deutschland ganz deutlich in der ökonomischen Situation wieder. Sowohl die Honorare für die Manuskripte als auch für Lesungen sind für Autoren von Jugendbüchern viel geringer als für Belletristikautoren. Es gibt da ein Ungleichgewicht, das mit dem mangelnden Ansehen des gesamten Genres zusammenhängt.
Muss Kinderliteratur didaktisch sein?
Einen Erwachsenen würde man nie fragen, was der aus einem Buch lernen kann! Ich hatte mal ein Interview, das begann so: "Was können Kinder aus Ihren Büchern lernen?" Da gab ich zurück: Was haben Sie denn für ein Bild von Kindern?
Was haben Sie für ein Bild? Und was folgt daraus für Ihre Bücher?
Ich will Unterhaltung mit Anspruch paaren. Ich möchte eine gute Geschichte erzählen, eine, die lesbar und spannend ist. Kinder sind ja unbestechlich und ungeduldig, da muss immer was passieren. Aber auf einer zweiten Ebene soll noch etwas anderes ablaufen.
Was?
Nehmen Sie "Rico, Oskar und der Tieferschatten". Rico ist ein Junge, der Schwierigkeiten in der Schule hat. Ein Prekariatskind, wie man es heute nennt. Das darf in der Geschichte aber nicht im Vordergrund stehen - sonst hätte man nämlich ein typisches Problembuch über einen Kleinen, der es ganz schwer hat. Und dessen Mami in einer Nachtbar arbeitet und nicht ganz lupenrein ist. Mir geht es darum, eine Freundschaftsgeschichte zwischen zwei sehr verschiedenen Jungen zu erzählen, die sich bewähren müssen. Die aber am Schluss dicke, fette Freunde bleiben. Das möchte ich plausibel machen.
Klingt aber doch so, als könne man daraus etwas lernen.
Wenn Sie so wollen, ja. Mein erster Berufswunsch war Lehrer. Ich wollte ein Vorbild für Kinder sein - in menschlicher Hinsicht, nicht unbedingt in fachlicher. Das versuche ich über meine Bücher zu vermitteln, ein Menschlichkeitsideal, das dem meinen entspricht. Aber es muss auch immer Lücken geben für andere, das zu brechen, die dann sagen können: Bis zu diesem Punkt folge ich dir - und dann will ich einen Gegenentwurf.
Wie reagieren die Lehrer auf Ihre Bücher?
Mich hat mal eine Lehrerin kritisiert, "Paul Vier und die Schröders" sei nicht zur Schullektüre geeignet. Ich habe das Buch auch gar nicht als Schullektüre geschrieben. Erwachsene benutzen und instrumentalisieren Kinderliteratur oft. Bei Lesungen abends, wenn nur Erwachsene da sind, kommt immer die Frage: Warum schreiben Sie Kinder- und Jugendbücher? Die erwartete Antwort ist: Damit aus unserer Welt ein besserer Ort wird. Wenn ich aber sage, weil ich damit meine Kohle verdiene, wollen das die Leute nicht hören.
Wollen Sie nicht, dass aus unserer Welt ein besserer Ort wird?
Mich nervt daran, dass wir alle immer heilig nach oben gucken sollen, wenn es um Kinder geht. Wir sollen sagen: "Ach, die Kleinen sind ja ganz toll!" Und alles, was man für die Kleinen macht, ist auch ganz toll. Das heißt, selbst die Erfinder von Hüpfburgen sind ganz toll - auch wenn sie ihre Burgen nicht aus purem Idealismus bauen und umsonst abgeben. Als Kinderbuchautor wird man das gerne gefragt.
Müssen Sie Ihre Bücher verschenken?
Ich meine dieses entsetzte Aufkeuchen, wenn du am Telefon sagst, wir müssen auch noch über das Honorar für die Lesung reden. Und dann kommt: "Wie? Das kostet Geld?" Alles, was mit Kindern zu tun hat, soll möglichst billig und aus reiner Menschenliebe angeboten werden.
Sie haben in diesem Jahr den Erich-Kästner-Preis bekommen. Was bedeutet Ihnen das?
Das hat mich sehr gefreut, denn Erich Kästner war der erste Autor, der auf Augenhöhe von Kindern geschrieben hat. Ohne Bevormundung. Zwar mit einem moralischen Impetus, der heute etwas altbacken wirkt, aber den finde ich gar nicht schlimm. Prinzipiell ist Moral ja in jedem Buch drin. Man bezieht immer Stellung, mit dem was man tut.
Ja, auch Sie sind moralisch!
Als Kinderbuchautor ist man zur Moral verdammt.
Welche Stellung beziehen Sie in "Rico, Oskar und die Tieferschatten"?
Das Buch ist der aktuellen politischen Debatte gezollt, in der es um so schwachsinnige Begriffe wie Prekariat oder Bildungsferne geht. Die Boulevardpresse vermittelt uns, es gäbe einen ganzen Schwung von Leuten, die den Arsch nicht hochkriegen! Das ärgert mich sehr. Denn es gibt viele Leute mit wenig Bildung, die versuchen sich zu verbessern und aus ihrer Lage herauszukommen.
Ist Rico ist so einer?
Er schreibt selber ein Lexikon. Kein richtiges Lexikon, aber es zeigt sein Bemühen sich zu beweisen: "Hey, ich mach hier was!" Wenn ich eine Frage an die Welt habe und keine Antwort darauf bekomme, dann lasse ich mir nicht vor der Glotze etwas von einem dahergelaufenen Moderator erzählen, sondern beantworte sie mir selbst.
Nun sollen Sie für "Rico" auch noch den den Katholischen Kinderbuchpreis bekommen. Nehmen Sie ihn an?
Ich bin erst mal zusammengezuckt: Wie kommen die denn darauf? Aber unterm Strich blieb übrig: Das ist schön! Da hat eine von katholisch Gläubigen eingesetzte Jury befunden, dass in "Rico" viele Werte vermittelt werden. Wir sind uns also, ohne es zu wissen, entgegengekommen. Außerdem gibts ein hübsches Preisgeld.
Haben Sie als Homosexueller kein Problem damit, von der katholischen Kirche einen Preis zu bekommen?
Klar kann man fragen: Muss man an einen Ort gehen, an dem ausdrücklich keine Kondome verteilt werden? Das sind natürlich Standpunkte, die es schwer machen. Aber ich finde, man muss sich immer wieder darüber austauschen. Und das müssen die ja jetzt auch - wenn sie einem Schwulen einen Preis umhängen. So ein Austausch ist mühselig und nennt sich Beziehungsarbeit. Aber ich habe lieber eine anstrengende Beziehung als einen diplomatischen Abbruch.
Wie wichtig ist Ihnen das Feedback von Kindern?
Ich brauche den Austausch mit den Kids. Ich will wissen, ob das Zeug ankommt, das ich schreibe.
Und? Kommt Rico an?
Was mich wirklich sehr getroffen hat, ist, dass sich Kinder durch Rico verstanden gefühlt haben, die selber auf Förderschulen gehen. Gerade hat mich eine solche Klasse aus Baden-Württemberg gefragt, ob sie nach Berlin kommen können, um mich zu treffen. Die sind richtig begeistert von dem Buch, jetzt wollen sie auch den zweiten Band lesen. Aber selbst wenn sie es nicht tun, habe ich sie auf jeden Fall so erwischt, dass sie sich angesprochen und ernst genommen gefühlt haben. Die haben die Erfahrung gemacht, dass ein Buch kein Buch mit sieben Siegeln für sie ist. Dass es sie betrifft.
Seit der Pisa-Studie ist Leseförderung ein großes Thema. Spricht Sie das an?
Ich finde, die Eltern sollten sich da angesprochen fühlen. Die Eltern müssen sich abends mit ihren Kindern hinsetzen und vorlesen, statt sie vor der Glotze zu parken. Kostet eben ein bisschen Zeit und Geld - nämlich ein Buch zu kaufen.
Man könnte auch in eine Bibliothek gehen!
Klar, da gibt es tolle Angebote, die nichts kosten. Aber es kommt trotzdem kaum einer. Da ist eine seltsame Schieflage. Was nichts kostet, gilt nichts. Daher gehen viele dazu über, auch in den Schulen, Geld dafür zu nehmen. Wenn es umsonst ist, bist du da vorne der Pausenclown. Wenn ein Schüler 3 oder 5 Euro gezahlt hat, hält er auch mal die Klappe. Das ist leider oft auch schon bei Kindern so, der Wert bestimmt sich über das Geld.
Konkret?
Bei jeder Lesung kommt die Frage: "Was verdienst du denn als Autor?" Wenn man sagt, genug, um davon leben zu können. Dann kommt: Ja, aber ich wollte den Betrag wissen. Sprich: Kinder sind heute so sehr materiell gepolt, dass wir uns über platzende Finanzblasen nicht wundern müssen. Der Wert eines Menschen wird inzwischen daran bemessen, was er verdient, viel mehr als früher.
Was sagen Sie diesen Kids?
Ich bohre nach: "Wenn ich weniger als 10.000 Euro im Jahr verdienen würde, wäre ich dann ein schlechterer Mensch für euch? Wäre ich mehr wert, wenn es eine Million wäre? Was setzt ihr da für Maßstäbe an?" - Schweigen im Walde. Die haben das heute so verinnerlicht, da sieht man, was unsere Gesellschaft den Kindern so vermittelt.
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