Autonomes Zentrum in Hamburg: Rote Flora zurück auf Los
Der Konflikt um die Rote Flora in Hamburg droht wieder heiß zu werden: Der Senat erwägt, das Gebäude zurückzukaufen. Die Besetzer haben vor, "das Projekt zu verteidigen".
![](https://taz.de/picture/309090/14/cyber2-N1_rote_flora_5sp_sw.jpg)
HAMBURG taz | Das autonome Kulturzentrum Rote Flora im Schanzenviertel droht, nach fast zehn Jahren Pause, in der Hamburger Politik wieder brisant zu werden. Der jetzige Eigentümer, der Immobilienunternehmer Klausmartin Kretschmer, hat angedeutet, er wolle das seit mehr als 20 Jahren besetzte Gebäude verkaufen - und zwar Gewinn bringend.
Ein für die vergangene Woche geplantes Gespräch zwischen Vertretern der Stadt und Kretschmer über einen Rückkauf kam nach Informationen der Welt am Sonntag nicht zu Stande. Die Besetzer teilten mit: "Wir sind auf eine mögliche Auseinandersetzung um die Rote Flora vorbereitet."
Im Bürgerschaftswahlkampf 2001 hatte der damalige rot-grüne Senat das ehemalige Konzerthaus für umgerechnet gut 180.000 Euro an Kretschmer verkauft. Der versprach: "Ich will den Ort und die Floristen so lassen, wie sie sind." Mit diesem Coup entwand der damalige Bürgermeister Ortwin Runde (SPD) seinem Herausforderer Ole von Beust (CDU) zwar ein Wahlkampfthema. Genutzt hat es ihm nicht: Von Beust ließ sich von der politischen Eintagsfliege Ronald Schill in den Sattel hieven.
Die Rote Flora steht in einem der Szeneviertel Hamburgs.
Das "Concerthaus Flora", wie es nach seiner Erbauung 1857 hieß, soll 1987 umgebaut werden. Der Impresario Fritz Kurz will darin Andrew Lloyd-Webbers Musical "Phantom der Oper" aufführen.
Proteste stoppen den Umbau 1988, Kurz baut sein Musical-Theater am S-Bahnhof Holstenstraße.
Besetzt wird die Flora zum ersten Mal 1988. Im Jahr darauf schließt die Stadt einen befristeten Überlassungsvertrag mit den Besetzern ab. Seit dessen Auslaufen im Oktober 1989 ist das Gebäude besetzt - und ein Symbol der Gegenkultur in Hamburg.
Verkauft: 2001 veräußert der rot-grüne Senat das Gebäude an den Event-Investor Klausmartin Kretschmer.
Fast zehn Jahre lang war eine Räumung der Flora seitdem kein Thema mehr. Ab März kommenden Jahres allerdings muss sich Kretschmer laut Vertrag nicht mehr mit der Stadt abstimmen, wenn er das Gebäude verkaufen will. Zwar muss es weiterhin als "selbst verwaltetes, gemeinnütziges Stadtteilkulturzentrum" genutzt werden. Ein neuer Eigentümer könnte aber erwägen, den Bau räumen zu lassen. Weder Kretschmer noch der Senat äußerten sich bisher zu möglichen Verhandlungen.
Das Plenum der Roten Flora und die Kampagne "Unverträglich Glücklich" lassen in einer Stellungnahme vom Wochenende keinen Zweifel daran, dass sie nicht kampflos aufgeben werden. "Wir bereiten uns weiter darauf vor, das Projekt zu verteidigen", teilen sie mit. Der Verkauf im Jahre 2001 habe weder das Besitzverhältnis noch den Status quo verändert: "Das Projekt ist besetzt."
Den Rückkauf betrachten die BesetzerInnen als Ende des Versuchs, sich den Konflikt durch eine Privatisierung vom Hals zu schaffen. Damit sei die Auseinandersetzung in die Sphäre des Privateigentums verschoben worden. Aber auch der Bezirk und der Senat seien keine Partner, sondern verantwortlich für "eine Politik von Standortdenken und Marktradikalität auf der einen, von Ausgrenzung, Vertreibung und Repression auf der anderen Seite".
Die Autoren verweisen auf eine Reihe von Konflikten beim Städtebau und der Nutzung der Stadt, an denen sich aktuell der Widerstand entzündet, etwa beim Bau eines Ikea-Möbelhauses im Stadtteil Altona. Dabei lasse sich das grundsätzliche "Recht auf Stadt" - so das gemeinsame Motto der Protestinitiativen - nicht durch Bürgerbeteiligung gewährleisten.
"Die städtischen Partizipationsangebote sind darauf gerichtet, den neoliberalen Umbau der Stadt zu optimieren und Zustimmung zu erzeugen." Stattdessen gehe es darum, "ein anderes Leben denk- und vorstellbar zu machen".
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