Autonomen-Randale: "Wir wollten rechtsfreien Raum"
Bei der Besetzung des Unruh-Geländes vor einer Woche kommt es nach Steinwürfen zum Großeinsatz. Im Interview erklärt eine Autonome, was das sollte.
taz: Am Freitag vor einer Woche haben Sie mit 50 Leuten das ehemalige Gelände der Unruh-Spedition in der Neustadt besetzt. Wozu die Randale?
Susanne*: Wir sind nicht randalierend durch die Stadt gezogen, wie es in einigen Medien dargestellt wird. Zu keiner Zeit wurden Unbeteiligte in Gefahr gebracht.
Sie griffen die Polizei mit Steinen und Feuerwerk an!
Die Bullen sind nicht unbeteiligt. Wir wollten sie eben nicht aufs Gelände lassen.
Polizei-Vizepräsident Dirk Fasse spricht von einem „Hinterhalt“: Ein Streifenwagen, der auf Vermummte und eine Barrikade traf, wurde attackiert, als er im Rückwärtsgang war.
Das ist Quatsch, es gab keinen Hinterhalt. Als die Bullenstreife zum Neustädter Güterbahnhof kam, wurde ihnen gesagt, sie solle abhauen – das war in einer Seitenstraße, die nur auf das Gelände führt und die wir versperrt hatten. Erst haben wir Farbbeutel vor das Auto geworfen und versucht, sie „sanft“ zu vertreiben. Dann haben wir das Auto mit Steinen beworfen. Das war aber kein Selbstzweck.
Es ist die Rede von „blinder Wut“, einer „Orgie der Gewalt“.
Auf dem Gelände gab es Essen und Musik, es hätte ein Straßenfest werden können. Was die Bild für brennende Barrikaden hält, waren Feuer-Tonnen. Das Areal ist super, mehrere Lagerhallen, die seit Jahren brach liegen. Wir haben die Zäune verstärkt, die Bullen vertrieben und sogar Leute befreit, die auf dem Weg zu uns eingekesselt wurden. Es ist gut gelaufen.
Mit Verstärkung aus dem Umland und schwerem Gerät hat die Polizei Sie noch am Abend geräumt …
Wir wollten den Konflikt aufzeigen mit der kapitalistischen Ordnung: dass einige Leute Häuser und Grund besitzen und andere kein Dach über dem Kopf haben.
Und Ihre realpolitischen Forderungen? In einer Mitteilung schreiben Sie von der Verdrängung ärmerer Menschen in die Randbezirke und mangelndem sozialen Wohnungsbau?
Wohnungsnot ist ein realer Anknüpfungspunkt. Aber wir wollten zeigen, dass wir uns nicht um Eigentum kümmern. Hätten wir das Haus halten wollen, wären wir anders vorgegangen.
Warum wählten Sie dann überhaupt das Gelände zwischen Bundesstraße und Bahnschienen am Ende der Neustadt?
In Bremen fehlt ein solches Gelände, ein großer Saal, wo laute Partys gefeiert werden können.
Hätten Sie nicht mit der Stadt darüber verhandeln können?
Und Dinge aushandeln, die selbstverständlich sein sollten? Nein. Wenn wir uns nur dulden lassen, ist es ja auch keine richtige Besetzung.
Bei der letzten Besetzung, vor zehn Jahren in der Parkallee 5, da wurde verhandelt.
Nach zwei Wochen wurden sie auch geräumt. Es ist egal, wie man sich verhält. Die hätten uns auch rausgeholt, wenn wir mit Luftballons dagestanden hätten.
Nun, laut Innensenator Mäurer gab es keine Alternative zur Räumung, nachdem Sie die Polizei angegriffen haben.
Es ist wichtig, wie der Konflikt verläuft. Klar, im Moment ist das ein Krieg, den man nicht gewinnen kann. Wir haben das Speditions-Gelände immerhin fünf Stunden lang der Kontrolle des Staates entzogen.
Das dürfte ein langes Nachspiel haben: Ihnen wird Landfriedensbruch, Gefangenenbefreiung und mehr vorgeworfen.
Die Repression, die danach kommt, sollte kein Maßstab sein. Genau darum ging es: einmal nichts darauf zu geben, dass der Staat am längeren Hebel sitzt, sondern ihn auszusperren und nicht Bittsteller zu sein. Wir wollten den rechtsfreien Raum.
Die Bahn könnte Schadenersatz verlangen, für die 1.000 Stunden Verzug, die angefallen sind.
Klar wäre das übel. Wir haben aber keine Steine auf Züge geworfen, die Häuser stehen 200 Meter davon entfernt. Als die Bullen das Gelände abgeriegelt haben, konnten die Menschen, die sich dabei unwohl fühlten, nur noch über die Schienen abhauen. Was können wir dafür, wenn die Bullen sich auf die Schienen stellen, um möglichst viele Menschen einzufangen?
Wie hätten es laufen sollen?
Das Beste wäre gewesen, wenn die Bullen sich nicht getraut hätten, das Gelände zu betreten.
Wofür steht Ihre Gruppe eigentlich? Sind Sie Kommunisten?
Wir sind verschiedene Leute mit unterschiedlichen Ansichten. Ich würde mich als Anarchistin bezeichnen, andere vielleicht nicht. Wir sind alle gegen den Staat und den Kapitalismus.
Sie sind Autonome der alten Schule – aber Twitter haben Sie trotzdem benutzt?
Ach, das war auch so eine nervige Überschrift in der taz: „Aufstand 2.0“ – als wenn es darauf ankäme. Wir brauchten irgendeinen Ticker, um zu mobilisieren. So konnten auch Leute in München oder anderswo mitfiebern. Durch flache Informationshierarchie sollte die Aktion anschlussfähig sein.
*Name geändert
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