: Auszeichnungen in Hülle und Fülle
■ Hamburg, deine Mäzene: Wer kennt die „Stiftung F.V.S.“? Dabei vergibt das Lebenswerk des Hanseaten Alfred Toepfer so viele Preise, daß sie sich selbst Konkurrenz machen / Ein Porträt
Von Preisen, Auszeichnungen und Ehrungen berichten die Feuilletonisten der Gazetten und Radiosender in fleißiger Regelmäßigkeit. Im Rampenlicht der Berichterstattung stehen freilich die kulturschaffenden Günstlinge, deren Werktätigkeit der Förderung für wert befunden wurde. Von wem werden sie gefördert? Die Namen der Institutionen klingen technisch und geschäftsmäßig, sie bleiben im Hintergrund. Einer der virulenten lautet „Alfred Toepfer Stiftung F.V.S.“. Die Hamburger Wohltäterin mit dem stattlichen Vermögen von 180 Millionen Mark ist eine der tatkräftigsten und spendabelsten Einrichtungen, die in Deutschland je von privater Hand ins Leben gerufen wurden.
Shakespeare-Preis, Robert-Schumann-Preis, Puschkin-Preis, Hansischer Goethe-Preis, Kant-, Vondel-, Rembrandt-, Steffens-Preis. Sie würdigen Beiträge zur europäischen Kultur, Verdienste zur europäischen Einigung, russischsprachige Literatur – die Auflistung der renommierten Auszeichnungen könnte noch lange fortlaufen.
„Ich habe sie ehrlich gesagt nie alle durchgezählt.“ Wie viele Preise es exakt sind, die die Alfred Toepfer Stiftung vergibt, weiß niemand genau. Auch Renate Wille nicht. Sie ist als Leiterin der Abteilung Kultur eine der zehn Mitarbeiter. Doch im Mittel seien es wohl 35 im Jahr, mehr oder weniger regelmäßig vergeben. Den Empfängern winkt außer der Ehre ein Geldgeschenk. Dazu kommen Stipendien und Studienreisen. Die Dotierungen reichen von einigen tausend Mark, beim Straßburg-Preis für deutsch-französische Jugendverständigung etwa, bis in die Nobel-Region des selten verliehenen Europa-Preises für Staatskunst, der übrigens 1991 an den Kanzler Kohl ging, für die deutsche Einheit.
. . . Steffens-Preis, Straßburg-Preis . . .
Die Alfred Toepfer Stiftung definiert zwar Sinn und Zweck, nach denen ein Preis vergeben wird. Doch sie wählt die Preisträger nicht selbst aus. Dafür hat sie eigens unabhängige Kuratorien eingesetzt, dem Wissenschaftler oder Künstler angehören können. Grundvoraussetzung der Mitglieder ist allein ihr Sachverstand. „Und sie müssen natürlich miteinander harmonieren, sonst kommen sie nicht zu Entscheidungen.“ Renate Wille spricht aus Erfahrung, sie nimmt gelegentlich an den Beratungen teil. Der mit 40.000 Mark dotierte Montaigne-Preis beispielsweise ging im vergangenen Jahr an den spanischen Komponisten Christobal Halffter, in diesem Jahr an die belgische Lyrikerin Liliane Wouters. Er ist für romanischsprachige Länder bestimmt und wird traditionell an der Universität Tübingen vergeben. Dort sitzt im Kuratorium jeweils ein Vertreter Frankreichs, Spaniens, Italiens und Portugals sowie zwei Romanisten der Universität. Deren Rektor nimmt nur beratend teil und kann – als Repräsentant der Entscheidung – sein Veto einlegen.
Die Hamburger Stiftung nimmt darauf keinen direkten Einfluß. Sie gibt lediglich die Satzungen aus und sorgt für die Finanzierung und die Organisation der Preisverleihungen, der Kuratoriums- und Stiftungsrats-Sitzungen.
Das alles war im wesentlichen auch schon zu Lebzeiten des Mäzens Alfred Toepfer so. Der Nachfahr von Pastoren und Bauern machte sein Vermögen zwischen den Weltkriegen. Mit einem Startkapital von 10.000 Mark gründete er 1919 eine Firma, die mit Heu und Stroh handelte. Als es die Reparationsauflagen zuließen, verlegte er sich aufs lukrativere Getreidegeschäft, Alfred Toepfer & Co. wurde international. Doch der erfolgreiche Geschäftsmann hatte auch kulturelle Ambitionen.
1931 gründete der Tycoon seine „Stiftung F.V.S“. Er konnte sich nicht entscheiden zwischen den Dedikanten Freiherr vom Stein – dem deutschen Sozialreformer und Staatsmann der Befreiungskriege – und Friedrich von Schiller – dem Dichter der Freiheit und der europäischen Dramen. So beließ er es zweideutig bei den Initialen.
Toepfer hatte eine Vision: ein kulturelles Netzwerk zu bilden, das die geistigen Potenzen des Abendlandes miteinander in Kontakt bringt. Ein uneigennütziges „Elitedenken“ attestiert ihm Renate Wille, die noch fünf Jahre unter Toepfer arbeitete. Der hielt sich – wie stets – im Hintergrund und verstand sich als Anreger. „Er wußte, wo seine Grenzen lagen.“
Wollte er eine europäische Gelehrtenrepublik schaffen? Nein, er habe nicht allein auf das Wissenschaftliche abgehoben. Ihm schwebte eher das klassische Bildungsideal vor, das das gesamte Spektrum musischer und rationaler Schaffenskraft eint.
Mit dem Steffens-Preis für den nordeuropäischen Bereich nimmt die Stiftung F.V.S. in den 30er Jahren ihre Arbeit auf. Der Shake- speare-Preis für englischsprachige Literatur folgt, der im Laufe der Zeit an Autoren wie Graham Greene, Doris Lessing, Richard Attenborough und Julian Barnes ging.
Alfred Toepfer war beileibe kein Intellektueller, ja, „er hatte entschieden einen Hang zum Volkstümlichen, zur Folklore. Das war für ihn enorm wichtig“, so Renate Wille. Davon zeugt, neben seiner Naturliebe, der Wilhelm-Leopold-Pfeil-Preis für Waldwirtschaft oder der Europa-Preis für Volkskunst.
Während der deutschen Diktatur stand Toepfer zunächst der Widerstandsgruppe um Ernst Niekisch nahe. Die Nazis inhaftierten ihn. Seine Freilassung erreichte er, indem er der Enteignung seiner Stiftung zustimmte. 1943 erhält der Hauptmann im Zweiten Weltkrieg sein Eigentum zurück. Die Britische Besatzungsmacht beschlagnahmt 1945 die Stiftung Toepfers, weil sie darin eine Tarnung für Nazivermögen wittert, er selbst landet für zwei Jahre im Lager von Nenndorf. 1949 nimmt die Stiftung, nun wieder im Besitz ihres Namensgebers, mit dem Liebig-Preis für Verdienste in der Landwirtschaft ihre Arbeit erneut auf. Alfred Toepfer baut sein Imperium aus. Zu seiner Firma gehören bald Kraftfutterwerke im Inland, Exportabteilungen für Waren aller Art, dazu Dependencen in der ganzen Welt und die entsprechende Logistik, eine Handelsflotte. Die Jahresumsätze steigen ins Unermeßliche. 1972 sind es fünf, 1977 schon zwölf Milliarden Mark.
Wenn Toepfer sich nicht um das Geschäft kümmert, frönt der Wandersmann seinem besonderen Steckenpferd: der Lüneburger Heide, in die er – wie auch in andere Naturparks, den Wiederaufbau der Staatsoper und die Restaurierung der historischen Peterstraße – viel Geld gesteckt hat.
In den 80er Jahren zog sich der Kaufmann aus dem Geschäftsleben zurück und widmete sich, bis zu seinem 97. Lebensjahr, ganz seiner Stiftung, die mittlerweile zu einem ähnlich weitverzweigten Organismus gedieh wie die Firma.
Nichts hatte Alfred Toepfer dem Zufall überlassen, als er 1993 im Alter von 99 Jahren starb: Weder wer die Geschäfte weiterführt, noch wie die Gewinne zu verteilen sind. Ein dreiköpfiger Vorstand wacht heute über die 180 Millionen – „Städtischer und ländlicher Grundbesitz, Wirtschaftsbeteiligungen, Obligationen und Bundesanleihen“, wie es im Geschäftsbericht heißt. Ähnliches gilt für den siebenköpfigen Stiftungsrat.
. . . Kant-Preis, Herder-Preis, Vondel-Preis . . .
„Natürlich ist es ein Unterschied, ob sieben oder drei Personen eine Entscheidung treffen, oder ob das einer allein tut.“ Der Verlust der ersten Autorität bedeute mehr Diskussion, aber auch langwierige Abstimmungen, so Renate Wille. Die Arbeit der Zentrale sei nun aufreibender, das macht sich insbesondere in der Saison der Preisverleihungen – Frühjahr und Herbst – bemerkbar. Für die Mitarbeiter hieße das: „Da muß geackert werden!“
Doch auch der politische und gesellschaftliche Wandel beeinflußt den Stiftungsbetrieb. So hätte der Kollaps der kommunistischen Staaten in Osteuropa und die größere Reisefreiheit eine ganz neue Situation geschaffen. Der Herder-Preis etwa, einer von sieben Auszeichnungen für Osteuropa, kann nun auf 17 Ländern angewendet werden. Einen neuen Modus müsse man nun für die Sondierung und gerechte Verteilung finden.
Vor allem gilt es aber derzeit, am Selbstverständnis der Stiftung zu feilen, so Renate Wille. Und das kranke an dem unübersichtlichen Programm mit zu vielen Preisen. „Wir machen uns selbst Konkurrenz. Es gibt Überschneidungen. Es gibt vielleicht auch Bereiche, die nicht so aktuell sind. Und es gibt sicherlich Preise, die man schlicht und ergreifend abschaffen könnte.“
Nach seiner Funktion gefragt, sprach Alfred Toepfer in den späten Jahren stets von der „natürlichen Souveränität des Stifters“. Er wußte wohl, wie allein seine Person den Bezugspunkt, den Ruhepol in der Vielfalt bildete. Die Frage lautet nun, wie das letzte Vermächtnis des großzügigen Hamburgers, das Vakuum, zu füllen sei. Wäre es in diesem Zusammenhang abwegig, einen einmaligen Sonderpreis in eigener Sache zu stiften?
Hilmar Schulz
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