Austellung über Demonstrationen: Ein Risiko bleibt
Die Ausstellung "Demonstrationen" im Frankfurter Kunstverein thematisiert Formen von Macht und Protest. Sind Demos immer gut?
Schleichend hat sich hierzulande die Meinung eingebürgert, Demonstrationen seien etwas Gutes. In der Abkürzung "Demo" liegt der ganze Charme einer gelegentlichen Verrichtung, der immer noch die Aura der Renitenz anhaftet.
Die Ausstellung im Frankfurter Kunstverein bricht sehr schnell mit dieser Konvention, die die Demo zum Teil des gewöhnlichen Alltags macht. Denn sie zeigt Demonstrationen der Macht. Sie bietet aber auch bewegte Bilder aus dem Arabischen Frühling, auf denen leblose Körper auf der Straße liegen, die von Polizisten wie Müllsäcke beiseitegeschleift werden.
Um zu erkennen, was genau eine Demonstration ausmacht, werden in der von Britta Peters, Fanti Baum und Sabine Witt kuratierten Ausstellung zuerst die Formen dargestellt, die sie im Verlauf der Geschichte annahmen: von Prozessionen, Aufmärschen, über Blockaden und Online-Demos bis hin zu Flash-Mobs. Das Ganze auf drei Stockwerken, bunt gemischt von der Malerei über Video bis zur Installation.
Ordnung und Unordnung sind das entscheidende Begriffspaar, um eine Struktur in die Vielzahl der Exponate zu bringen. Auf Zeichnungen und Gemälden der Französischen Revolution, des Hambacher Festes und der Revolution von 1848 ist es meist eine enthusiasmierte Bürgermenge, die - von heute aus betrachtet - einen recht ordentlichen demokratischen Zug unternimmt.
Oder es herrscht zwar ein chaotisches Treiben unter den Barrikadenkämpfern wie in der Darstellung der Kämpfe 1848 am Köllnischen Rathaus in Berlin oder am Alexanderplatz. Innerhalb des Bildes ist aber alles an seinem Platze - unten das angreifende Militär, in der Bildmitte die Barrikadenkämpfer und oben die Paläste der Macht. Ohne Probleme kommt hier das Ganze in den Blick.
"History is what hurts"
150 Jahre später sieht es anders aus. In der Fotoserie "The Summits" von Julian Röder hat die Macht keinen festen Ort mehr. Die Herrscher verkrümeln sich während ihrer Gipfeltreffen irgendwo aufs Land, nahe bei Thessaloniki, Hokkaido oder Heiligendamm. Polizeitrupps errichten im Grünen massive Absperrungen, vor denen eine bunte, hilflose Menge zum Stehen kommt - wenn sie nicht gar, wie in Hokkaido, wie eine bedauernswerte Gruppe von Pfadfindern aussieht, die vom Regen überrascht wurde.
Künstlerische Darstellungen von Demonstrationen werden ab Ende des 21. Jahrhunderts natürlich auch selbstreflexiver und rücken vor allem die Rolle der Medien in den Fokus. In einer Videoinstallation von Sandra Schäfer über die iranische Revolution Ende der Siebziger Jahre werden Filmausschnitte, Beiträge in Rundfunk und Fernsehen collagiert. Man sieht zum Beispiel blau gekleidete, demonstrierende Frauen, die mit Transparenten irgendwo in einer Stadt einen Hügel hinaufziehen.
Der Ausschnitt erinnert den Betrachter daran, dass er nur einen Teil sieht, der mit anderen in anderen Medien kombiniert werden muss, um zu verstehen, warum ein vitaler demokratischer Aufbruch zur ehernen Macht der Mullahs führte. Kunst wird wieder zur Trauerarbeit; 'History is what hurts', wie es der amerikanische Literaturkritiker Fredric Jameson einmal formulierte.
Aber im Frankfurter Kunstverein wird nicht nur historische Erfahrung gesammelt, um gegenwärtige Formen des Demonstrierens besser einordnen zu können. Die Ausstellung gewinnt vor allem Qualität, indem sie gegenwärtige Demonstrationsarten nebeneinander stellt. Heute wird gern von Online-Demos gesprochen. Doch wer an Bildern prügelnder Polizisten vorbeigeht, die in Kairo wild auf Demonstranten eindreschen, muss diese Vorstellung als lächerlich empfinden.
Die Gruppe, die auf die Straße geht, will zu einem kollektiven Körper werden. Aber das Interesse der Staatsmacht besteht eindeutig darin, die Demonstranten wieder zu individualisieren und sie das schmerzhaft spüren zu lassen. Aktivitäten im Internet können das reale Geschehen koordinieren und verstärken, nicht aber ersetzen. Letztlich ist die Herausforderung der Macht immer konkret und damit ortsgebunden. Das Selbstreflexive, das Darstellungen von Demonstrationen heute besitzen, ermöglicht in der Ausstellung den Vergleich alles dessen, was aktuell eine Demo sein möchte. So gibt es inzwischen kaum noch eine öffentlich wahrgenommene Lebensäußerung, die nicht von einer Performance begleitet wird.
Die Kunst unterläuft den den Diskurs
Der Grieche Jorgos Sapountzis etwa lief im Rahmenprogramm zur Ausstellung mit Decken und wehenden Fahnen durch das Frankfurter Stadtgebiet. Marcello Maloberti wird Ende März mit "diversen Alltagsskulpturen" und einer "verfremdeten Flagge" durch das Bahnhofsviertel ziehen. Diese Demo-Performance soll garantiert, so die Ankündigung, keine politische Botschaft enthalten.
Vor allem jedoch könnten die Künstler das wissenschaftliche Rahmenprogramm und den Untertitel in Frage stellen: "Vom Werden normativer Ordnungen". Auf Demonstrationen finde auch, so die Veranstalter, eine "kommunikative Auseinandersetzung um normative Ordnungen" statt. Früher ging es dort um Macht. Oder um Demokratie. Oder Revolution. Heute geht es leider nur noch um etwas so denkbar Diffuses wie Normen.
Axel Honneth hat mit seinem jüngsten Buch "Das Recht der Freiheit" die Stichworte dazu und der Ausstellung das Label "normativ" geliefert. Ein von ihm geleitetes Exzellenzcluster der Frankfurter Uni steckt das wissenschaftliche Begleitprogramm ab. Der Sozialphilosoph versucht, in den gesellschaftlichen Normen die Demokratie zu finden - weil sie ja hierzulande sonst nirgendwo mehr zu stecken scheint.
Aber glücklicherweise unterläuft die Kunst den Diskurs. Wer die Ausstellungsräume betritt, sieht sofort die Installation des Videobloggers Aalam Wassef aus Kairo. Die dortigen Demonstrationen, die in Bild-Text-Kombinationen auf einem Split-Screen dargestellt und zusammengesetzt werden, dokumentieren, dass an anderen Orten der Einsatz höher ist und der Gewinn im günstigen Fall auch.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!
Wissenschaftlerin über Ossis und Wessis
„Im Osten gibt es falsche Erwartungen an die Demokratie“