Austellung Edward Hopper und seine Zeit: Die Kluft zu den anderen
Das Hamburger Bucerius Kunst Forum konfrontiert Hopper mit seinen Zeitgenossen. Deutlich wird, Stagnation ist nicht nur Thema seiner Bilder sondern auch ein Problem seines Gesamtwerks.
Man stelle sich also mal vor: nicht in Edward Hopper zu schwelgen. Nicht zum hundertsten Mal dessen Kompositionen der Einsamkeit und sein surreales Licht zu besingen, das seine Landschaften und Gebäude bestrahlt, die immer ein bisschen wirken wie verfremdete Hollywood-Kulissen. Wie müsste dann wohl eine Hopper-Schau gestaltet sein, die auf einen solchen Perspektivwechsel setzt? Sehr einfach: Sie begibt sich auf die Spurensuche nach den Zeitgenossen Hoppers, wie es die aktuelle Schau "Modern Life. Edward Hopper und seine Zeit" im Hamburger Bucerius Kunst Forum versucht. Denn das Herkommen jenes Künstlers, dessen Optik bis heute das europäische Amerika-Bild prägt, wurde bislang selten beleuchtet, weshalb sich eine vergleichende Ausstellung geradezu anbietet.
Eine solche haben die Hamburger sehr geschickt inszeniert: Von einem mit acht Hoppers bestückten Mini-White-Cube aus bieten sich Ausblicke in einen Rundgang, der wichtige Zeitgenossen präsentiert. So kann man direkt überprüfen, was die Kuratoren als "Hoppersche Synthese" bezeichnen. Dass Hopper zwischen allen Stühlen saß und sich weder von der abstrakten noch von der realistischen Malerei seiner Zeit vereinnahmen ließ, ist indes bekannt. Wo also wären Links zwischen ihm und den Kollegen zu verorten; ist es überhaupt gerechtfertigt, eine solche Schau zu zeigen, wenn ihn mit den Zeitgenossen doch so wenig verband?
Der Blick in den Parcours bestätigt zunächst, dass Hopper - wie seine Kollegen - eine originär amerikanische Kunst schaffen wollte. Auch trieb ihn die Frage um, ob die auf dem Land oder in der Stadt entstünde und wie mit der Anonymität der Großstadt zu verfahren sei. Darin erschöpfen sich allerdings die Parallelen: Mit dem reportageartigen Duktus der Ashcan School um Robert Henri, die Menschen auf öffentlichen Plätzen, in Parks und Nachtclubs malte, verbindet ihn allenfalls die Anmutung der Großstadt. Auch teilte Hopper nicht den sozialkritischen Ansatz der American Scene, dafür war er politisch viel zu stramm konservativ. Lichtjahre trennen ihn auch etwa von Reginald Marsh, dessen Straßenszenen latent an Grosz erinnern. Denn Hoppers Figuren sind weder scharf gezeichnete Individuen noch elende Massen. Es sind in halbabstrakte Landschaften und Räume gefallene, seltsam erstarrte Großstadtmenschen, deren Geschichte erst hinter dem Bild beginnt. Das aber in einem sehr allgemeinen Sinn, weshalb auch der Vergleich mit den Künstlern des Machine Age Hoppers Ansatz nicht klarer macht. Die Industrieanlagen Elsie Driggs und die Fabrikgebäude Charles Sheelers sind viel zu konkret, um mit Hopper zu interagieren. Und vielleicht liegt in dieser Kluft der Grund dafür, dass der auf den ersten Blick so verführerische Vergleich der Hamburger Schau ins Leere läuft. Hopper reflektierte und verdichtete zwar den Zeitgeist, aber nirgendwo nahm er ihn konkret ins Visier: Weder das Interesse am Großstadtgewusel noch die Hymne auf die Technik teilt er mit seinen Künstlerkollegen. Sicher, seine Interieurs und Landschafts-Stillleben sind in den USA verortet; Baustil und die flirrenden Kornfelder des Mittleren Westens sprechen eine deutliche Sprache. Letztlich aber sind diese Szenen an keinen Ort gebunden. Hopper hat klare, karge Formen vielmehr bewusst als Chiffren seelischer Ausweglosigkeit gewählt, anstatt politisch Kleinteiliges zu thematisieren oder die konkrete Verfasstheit der amerikanischen Gesellschaft. Er zieht deren Defizite vielmehr bewusst ins Allgemeine und wird deshalb auch außerhalb des zeitgeschichtlichen Kontextes für eine internationale Community lesbar. Dass Stagnation indes nicht nur Thema seiner Bilder, sondern auch Problem seines - formal und motivisch arg begrenzten - Gesamtwerks ist: auch das illustriert die Hamburger Schau sehr eindrücklich.
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