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Ausstieg oder Wallmann–Linie?

■ Energie– und umweltpolitische Tendenzen in der DDR / „Flexibilisierungssignale“ in puncto Kernenergie Umschwung oder Beschwichtigungstaktik angesichts des wachsenden Legitimationsdrucks „von unten“ ?

Aus Berlin Matthias Geis

Gibt es Anzeichen eines energiepolitischen Orientierungswandels in der DDR ? Ist gar - nach Tschernobyl - der Ausstieg aus der Atomenergie im anderen Deutschland durchsetzbar ? Detaillierte Einschätzungen wie kontroverse Antworten hierzu erbrachte eine von der AL–Fraktion im Rathaus Schöneberg veranstaltete Diskussion. Podiumsteilnehmer waren Thea Bock, Umweltexpertin der GAL Hamburg, Martin Jänicke von der Forschungsstelle Umweltpolitik der FU Berlin sowie Renate Heitmann und Wolfgang Schenk aus der AL–Fraktion im Abgeordnetenhaus. Verunsicherung nach Tschernobyl Während in der BRD, fünf Monate nach der sowjetischen Reaktorkatastrophe, die Bundesregierung im Energiebericht ungebrochen ihren Atomkurs zementiert, scheint in der DDR–Führung „Nachdenklichkeit“, ja „Verunsicherung“ Platz zu greifen. „Flexibilisierungssignale“ in der Energiepolitik, so Renate Heitmann, deuteten sich an: Entgegen früherer Statements hat die Kernenergie für Erich Honecker „nicht das letzte Wort“, und für Volkskammerpräsident Horst Sindermann ist sie schlichtweg „zu teuer“. Doch nicht nur jüngste Äu ßerungen der DDR–Offiziellen stützen Martin Jänickes Einschätzung eines Umdenkprozesses; als Indiz gilt ihm vor allem die schon seit Beginn der achtziger Jahre stark gebremste Kernenergieentwicklung der DDR. Vor dem Hintergrund der gigantomanischen Atompläne der siebziger Jahre - projektiert waren 30.000 MW für 1990 - nehmen sich die heute produzierten 1.830 MW eher bescheiden aus. Die Atomstromproduktion der DDR beträgt damit gerade ein Zehntel der BRD–Kapazität. Erscheint schon von daher ein „Ausstieg leichter als bei uns“, so gilt Jänicke eine Kombination von entschwefelten Braunkohlekraftwerken, dezentralen Wind–/Wasseranlagen und Sparmaßnahmen v.a. im industriellen Bereich als Basis einer atomfreien Energieversorgung in der DDR der Zukunft. Mit der Unterstützung bei der Einführung von Entschwefelungsanlagen und intelligenter Technologien zur Stromeinsparung könne der Westen die energiepolitische Denkpause der DDR nutzen, um auf einen Ausstieg hinzuwirken. Jänicke will sein Konzept zwar „nicht als Prognose“, jedoch als heute realistische Möglichkeit verstanden wissen. Die optimistische Einschätzung Jänickes kontrastierte Thea Bock, Teilnehmerin der DDR– Delegation der Grünen, durch ihre jüngst gewonnenen Erfahrungen: Ein Konzept, das primär auf die Braunkohle setze, verkenne die „ganz großen Probleme“ der forcierten Umweltzerstörung durch den Tagebau. Angesichts verödeter Landstriche insbesondere im Raum Halle/Birburg habe sie die Präsentation rekultivierter Flecken „als Zynismus empfunden“. Das „Herumdoktern an Symptomen“ - etwa die Züchtung rauchresistenter Bäume statt konsequenter Entschwefelung - mache sie skeptisch gegenüber dem von Jänicke behaupteten Bewußtseinswandel. In ihren Gesprächen habe sie vielmehr den Eindruck einer nach wie vor „ungebrochenen Technik– und Fortschrittsgläubigkeit“ der DDR–Offiziellen gewonnen. In diesem Tenor äußerte sich auch Wolfgang Schenk zu den atom– und umweltpolitischen Tendenzen in der DDR: Er betrachte die „psychologisch gut getimeten Äußerungen“ der DDR– Führung als Reaktion auf den gewachsenen Legitimationsdruck. Dahinter jedoch verberge sich die „Wallmannlinie“: Durch „erhöhte Sicherheit“ die Kernenergie „zum Nutzen der Menschen zu beherrschen“. Als „echte Belege“ eines energiepolitischen Umschwungs betrachte er hingegen das von DDR–Bürgern in einer Eingabe an den Ministerrat geforderte Moratorium beim Reaktorbau, die Veröffentlichung von Strahlenmeßwerten sowie die Zulassung einer öffentlichen Diskussion. Demgegenüber halte die DDR an ihrer „anachronistischen Informationspolitik“ zur Unterdrückung einer Ökologiebewußten Öffentlichkeit fest. „Ohne Demokratie von unten“ jedoch sei ein Ausstieg „nicht machbar“. Ökologiebewegung massiv unterstützen In der Tendenz eher skeptisch gegenüber einer Flexibilisierung der DDR in Sachen Kernenergie waren auch die Plenumsbeiträge: weder dürfe man der regierungsamtlichen Taktik „auf den Leim gehen“ noch die Stärke der Ökologiebewegung in der DDR überschätzen. Blieben so die Einschätzungen über die aktuellen Chancen eines Ausstiegs kontrovers, so war die grün–alternative Strategie durchaus kompromißfähig: zweigleisig gelte es sowohl die vorhandenen offiziellen Kontakte zu nutzen als auch durch verstärkte Zusammenarbeit und Informationsaustausch die Ökologiebewegung in der DDR massiver als bisher zu stützen. Gelegenheit hierzu wird es bald geben: ein Symposium über alternative Energiepolitik in BRD und DDR im Dezember in Ost– Berlin; Öffentlichkeit, so Thea Bock, wurde den Grünen bereits zugesagt.

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