Ausstellungsreihen Sein.Antlitz.Körper.: Kunst in der Kirche
Wie vertragen sich Religion und zeitgenössische Kunst? Eine Ausstellungsreihe testet das in Berliner und Jerusalemer Gotteshäusern.
Eine nackte Frau mit einem weißen Tuch ums Haar und die rechte Schulter. Die Zipfel hält sie vorn in beiden Armen, als trüge sie darin ein Kind. Das Tuch jedoch ist leer. Die Analogie zwischen Julia Krans Fotografie „Mutter“ und Marienbildnissen ist offensichtlich, umso deutlicher der Bruch damit: Das Kind, der Erlöser, fehlt.
Die Arbeit hängt nicht irgendwo, sondern in einer Kirche, in St. Marien auf dem Alexanderplatz. Die Ausstellung „Das Kopftuch der Migrantin. Ihr Kreuz tragen“, ist Teil der Reihe Sein.Antlitz.Körper, die, initiiert vom ehemaligen Galeristen Alexander Ochs, Kirchen und eine Synagoge in Berlin und Jerusalem bespielt.
Die Gotteshäuser sind dabei mehr als nur Ausstellungsorte, es geht um den Dialog zwischen Religiosität und zeitgenössischer Kunst, der durchaus spannungsreich die Brücke zu gesellschaftspolitischen Diskursen schlägt.
In St. Marien geht das Konzept auf: Hochaktuell wirken Helen Escobedos textile Skulpturen „Flüchtlinge“ aus dem Jahr 2001 und gleichsam wie eine Antwort auf das Totentanzfresko aus dem 15. Jahrhundert, vor dem sie stehen.
Im Altarraum liegen Kacheln, auf die Marta Deskur gesichtslose Kreuzbergerinnen mit Kopftuch gedruckt hat und die das brisante Kleidungsstück in ornamentales Dekor verwandeln.
taz: Welche Ausstellung in Berlin hat Sie zuletzt an- oder auch aufgeregt? Und warum?
St. Marien: „Das Kopftuch der Migrantin / Ihr Kreuz tragen“, bis 6. 8., Karl-Liebknecht-Str. 8. Weitere Ausstellungen und Informationen: sein-antlitz-koerper.de
Alexander Ochs: Die Ausstellung Schnittmengen im leider vollständig unterschätzten Museum für Asiatische Kunst. Es ist die letzte in Dahlem; ab Januar ist das Museum gezwungen, den Umzug ins Humboldt-Forum vorzubereiten.
Schnittmengen integriert in sehr sensibler Art und Weise zeitgenössische Kunst asiatischer wie erstmals auch europäischer Künstlerinnen und Künstler in die Sammlung alter Ostasiatika und zeigt so einen Weg, der hoffentlich fürs Humboldt-Forum gilt.
Welches Konzert oder welchen Klub können Sie empfehlen?
Den Acker Stadt Palast, weil er radikaler und improvisierter Musik immer noch und immer wieder Platz gibt. Gute Performance-Programme wie Dance before Christmas finden dort statt, aber auch der von mir hochgeschätzte Komponist Dieter Schnebel konnte dort Musikerinnen und Musiker anlässlich seines achtzigsten Geburtstag einladen.
Welche Zeitung/welches Magazin und welches Buch begleitet Sie durch den Alltag?
Alexander Ochs, geboren 1954, eröffnete 1997 seine erste Berliner Galerie mit Fokus auf den künstlerischen Austausch zwischen China und Europa. 2004 gründete er zusätzlich den White Space in Peking. Seitdem er sich 2014 vom Galeriebetrieb verabschiedete, belebt er im Format „Alexander Ochs Private“ die Idee des Kunstsalons wieder. Ochs kuratiert zudem Ausstellungen in Kirchen, wie derzeit das Projekt Sein.Antlitz.Kirche.
Eigentlich gibt es keine permanenten. Außer vielleicht Mascha Kalékos Liebesgedichten, in die ich immer wieder schaue. Dann gibt es temporäre. Derzeit: Denn wir haben Deutsch, wunderbare, auch lustvolle Texte zu Martin Luther, dem Sprach-Erfinder.
Was ist Ihr nächstes Projekt?
Na ja, mein nächstes ist mein letztes. Seit März kuratiere ich die Ausstellungsreihe Sein.Antlitz.Körper. in, mit und für Kirchen in Berlin und Jerusalem. Daneben sind die Neue Synagoge in Berlin und das Lutherdenkmal in Eisenach Schauplatz.
Die nächsten Eröffnungen sind im Centrum Judaicum und in der Kirche St. Adalbert. Spannende Liebesverhältnisse zwischen Religion und Kunst entstehen da; neue spirituelle Qualitäten treten zutage.
Welchen Gegenstand/welches Ereignis des Alltags macht Ihnen am meisten Freude?
Meine Espressomaschine. Jeden Morgen. Und die gute Charlottenburger Luft auf dem Balkon in der Schillerstraße. Morgens um sieben und zu jeder Jahreszeit.
Text und Interview erscheinen im taz.plan. Mehr Kultur für Berlin und Brandenburg immer Donnerstags in der Printausgabe der taz
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