Ausstellungsempfehlung für Berlin: Vom Alphabet, das keiner lesen kann

Künstler:innen aus Georgien, die in Berlin leben, zeigen ein Subbild des Kaukasuslandes. Die taz sprach mit Ana Grizishvili, einer der Ausstellenden.

Installationsansicht (v.l.n.r.): Gela Megrelidze, Sophia Tabatadze, Ana Gzirishvili, Foto: Goga Demetrashvili

Man entweicht der Mehrheit, wenn man in Worten spricht, die keiner versteht, und Zeichen verwendet, die niemand entziffern kann. Schriftsteller Aka Mortschiladze – hierzulande eine der wenigen bekannten Stimmen aus Georgien – sieht darin einen Kernpunkt der georgischen Kultur. Künstler Zurab Sumbadze offenbar nicht.

Er bricht den Mythos des Unzugänglichen, den Mortschiladze auch um Georgien webt, in seinem Tagebuchzeichnungen humorvoll herunter. „Ich habe Mortschiladze gelesen“, zieren Tuscheletter das Blatt, „sein Stil ist manieriert und formalistisch“. Dabei platziert er selbst eine ebenso manierierte wie formalistische Zeichnung von einer orientalischen Badehausszene mit einem Feder spitzenden Dichter (vielleicht der georgische Nationaldichter Schota Rustaweli?) zwischen die Worte.

Die Gruppenausstellung "Grüße aus Georgien" mit Thea Djordjadze, Sophia Tabatatze, Ana Grizishvili u.a. ist bis zum 30.11. im Kunstpunkt, Schlegelstr. 6, Do.-So. 15-19Uhr, zu sehen

So klein die Zeichnung, Sumbadze dreht darauf viele ironische Pirouetten um die georgische Kultur, verwirbelt Fremd- und Selbstblick, wie es sich womöglich nur einstellt, lebt man nicht mehr im eigenen Land. Die Kuratorin Sophia Tabatadze hat für die Ausstellung „Grüße aus Georgien“ viele dieser distanzierten Blicke von georgischen Künstler:innen, die in Berlin leben, versammelt.

Gemeinsam fügen sich die unterschiedlichsten Positionen zu einer Art Subbild des Landes zusammen. Die Sprache bleibt ein Leitmotiv. Wie bei Ana Gzirishvili. Sie trägt in ihrer Iki-Serie georgifizierte Worte aus dem Russischen zusammen und dokumentiert damit ihr unkontrollierbares Eigenleben – auch jenseits politischer Konflikte.

Einblick (800)

taz: Welche Ausstellung in Berlin hat dich zuletzt an- oder auch aufgeregt? Und warum?

Ana Gzirishvili: Ich habe in Berlin schon lange keine Ausstellung mehr gesehen, die mir starke Emotionen bereitet hat. Es gab aber einen Vorfall bei einem Auftritt der Young Boy Dancing Group in der Klosterruine diesen Sommer. Bei einer ihrer gefährlichen Handlungen setzten sie versehentlich einige Zuschauer in Brand und verletzten sich selbst. Es herrschte Panik. Und mich brachte das zum Nachdenken über die obskuren Grenzen der Verantwortung zwischen Künstler:innen, Organisator:innen und Publikum nach.

Welches Konzert oder welchen Klub in Berlin kannst du empfehlen?

Ana Gzirishvili, 1992 in Tbilisi geboren, ist Medienkünstlerin. Seit 2014 lebt sie in Berlin, wo sie die New Media Class an der UdK absolvierte und DAAD-Stipendiatin ist. In ihren experimentellen Arbeiten durchquert Ana Gzirishvili verschiedenste Medien, vom linsenbasierten Bewegtbild zur Computeranimation, von der Zeichnung bis zur Drucksache oder von der Mode bis zur Performance. Inhaltlich setzt sie sich häufig mit den visuellen und soziokulturellen Narrativen von Raum, Sprache oder Ereignis auseinander. Dabei beschäftigt sich Ana Gzirishvili mit den Verschiebungen, die zwischen der materiellen und immateriellen Welt entstehen können.

Trauma Bar und Kino, erst vor einem Jahr eröffnet und von Anfang an ein sehr schönes Programm mit inspirierenden experimentellen Künstler:innen.

Welche Zeitschrift/welches Magazin und welches Buch begleitet dich ­zurzeit durch den Alltag?

Gerade lese ich mehrere Bücher gleichzeitig. Zum Beispiel Silvia Federicis „Caliban and the Witch“, das schon viele Menschen inspiriert hat, besonders Frauen, einschließlich mich. Außerdem lese ich Virginia Woolfs „The Waves“. Ihr Schreiben ist überraschend trippig. Parallel dazu die brillante Toni Morrison.

Was ist dein nächstes Projekt?

Ich bereite eine Videoinstallation in ­Tbilisi über den Zustand des „Dazwischen“-Seins oder auch des „Ortlos“-Seins vor. Dafür werde ich mit meinem CGI-Charakter CGI character „Bay and Tbilisi city scape“ arbeiten. Außerdem mache ich nach zwei Jahren endlich einen Musikclip zu Ende, der von einer unangenehmen Erfahrung mit einem Mitarbeiter der Deutschen Bank handelt, die ich einmal hatte.

Welcher Gegenstand/welches Ereignis des Alltags macht dir am meisten Freude?

Der Kaffee am Morgen und der Blick aus meinem Fenster. Ich habe eine schöne Sicht auf die Stadt. Außerdem liebe ich es, meine Bücher durchzugehen und nach Worten zu suchen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.