Ausstellung: Versteckt im Keller
Nach langem Zögern macht die Bahn eine Ausstellung über ihre Nazivergangenheit. Aber wie findet man sie?
Am Potsdamer Platz gibt es etwas Wichtiges zu sehen - aber es ist ziemlich schwer zu finden: In der unterirdischen Passarelle, dem Zwischengeschoss zwischen Bahnsteigen und Potsdamer Platz, am Ausgang zum unterirdischen Gang zu den Arkaden wurde am vergangenen Mittwoch die Ausstellung "Sonderzüge in den Tod" eröffnet.
Auf 38 Tafeln berichtet die Bahn AG über die Beteiligung der Reichsbahn, ihrer Vorgängerin, an dem von der NS-Regierung durchgeführten Genozid an den europäischen Juden. Die Ausstellung erinnert mit Fotos, Kurzbiografien, Briefen und aufgezeichneten Zeitzeugeninterviews an das Schicksal von etwa drei Millionen Menschen, die in der Nazizeit per Bahn in die Konzentrations- und Vernichtungslager im besetzten Polen gebracht wurden. Sie basiert auf einer Ausstellung von Beate Klarsfeld, die in Frankreich in wichtigen großstädtischen Bahnhöfen mit Unterstützung der SNCF, der französischen Staatsbahn, gezeigt wurde. Zu sehen sind zum einen die Opfer: vor allem Kinder, deren Eltern aus Deutschland ins Ausland geflüchtet waren, die von dort nach der Besetzung Frankreichs zur Vernichtung in die Mordstätten in Osteuropa transportiert wurden.
Und man sieht die dafür Verantwortlichen im Reichsverkehrsministerium. Alle ihre Karrieren enden mit Kriegsende, jedenfalls auf den Tafeln. Das suggeriert, mit der bedingungslosen Kapitulation hätten alle Verbrechen ihr Ende gefunden, die Massenmörder am Schreibtisch seien zur Rechenschaft gezogen worden. Doch weit gefehlt. Von verschwindend wenigen Ausnahmen abgesehen, setzten die Verbrecher ihre Karrieren im Nachkriegsdeutschland als unbescholtene Ehrenmänner bis zur normalen Pensionierung fort.
Bahnchef Hartmut Mehdorn hatte sich gegen die Ausstellung gesträubt, so wie er sich auch bis heute weigert, auf den Bahnhöfen Tafeln über die dort begangenen Deportations- und anderen Verbrechen zuzulassen. Verständlicherweise war er daher auch verhindert, an der Eröffnung der ihm oktroyierten Ausstellung teilzunehmen. Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee jedoch und Susanne Kill, die Haus-Historikerin der Bahn, sowie Beate Klarsfeld erschienen. Klarsfeld sagte, durch die Ausstellung seien die Kinder "aus der Nacht des Vergessens ans Tageslicht zurückgekehrt". Die Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch, dankte Klarsfeld für ihr "couragiertes Engagement". Ausstellungen wie diese könnten auch dann noch historische Aufklärung leisten, wenn es keine Überlebenden mehr gebe.
Traurig nur: Auf dem Potsdamer Platz gibt es bisher keine Plakate, die auf die Ausstellung aufmerksam machen, selbst in der Passarelle finden sich keine Hinweisschilder. Und auf Fragen nach der Ausstellung konnten die Verkäufer in den dortigen Geschäften keine Auskunft geben. Sie waren nicht einmal durch Flugblätter auf die Ausstellung hingewiesen worden.
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