piwik no script img

AusstellungAußen machtvoll, innen funktional

Der Architekt Alfred Messel hat den Übergang vom Historismus zur Moderne in Berlin maßgeblich beeinflusst. Eine Ausstellung der Kunstbibliothek und der TU zeigt ihn in neuem Licht.

Was angesichts heutiger Shopping-Malls manchmal wie eine Schreckenserfahrung des Konsums erlebbar ist, ließ sich in den Warenhaus-Architekturen von Alfred Messel (1853 bis 1909) als Kontrapunkt erfahren. Sein "Kaufpalast" für die Gebrüder Wertheim am Leipziger Platz glich einem Stadtschloss. Bis nach dem Ersten Weltkrieg galt es als das bauliche Gesamtkunstwerk zur Huldigung des Fetischs Ware. Eine ganze Architektengeneration orientierte sich an diesem Bautyp, seiner Erlebbarkeit und Funktionalität.

Messel zog den riesigen Bau mit 100.000 Quadratmeter Fläche von der östlichen Platzseite weit hinein in die Leipziger Straße. Der Kopfbau des damals größten Kaufhauses Europas erinnerte an eine neogotische Kathedrale mit hohen Pfeilern und Maßwerk. Entlang der Leipziger Straße tat sich die wuchtige Fassade auf, die italienischen Stadtpalazzi entlehnt war. Drinnen empfing die Besucher ein Innenhof, den vier Galerien umschlossen. In diesen lagen wie Luxusgüter ausgebreitet die Waren in orientalisch drapierten Sälen, üppig begrünten Sommergärten und schönen, funktional gestalteten Verkaufsräumen nebst eleganten Restaurants.

Der Bau (1893 bis 1905) gab dem Konsum ein Fest. Besuchten die Berliner Wertheim, "zog man sich sein bestes Kleid an", wie Gustav Stresemann notierte. Die Pariser Vorbilder hatten ausgedient, Messels Kaufpalast wurde zum Sinnbild für die Transformation des Warenhauses zum modernen Konsumtempel der Metropole des frühen 20. Jahrhunderts.

Die Ausstellung "Alfred Messel. Visionär der Großstadt" der Kunstbibliothek und der TU Berlin zum 100. Geburtstag des Baumeisters erstreckt sich über zwei Etagen, von denen eine mit insgesamt 350 Exponaten dem Warenhaus Wertheim samt seinen beiden Berliner Filialen in Plänen, Originalzeichnungen und Fotos gewidmet ist. Das kann man getrost als Verneigung sowohl vor dem Bauwerk als auch vor einem Architekten verstehen, der ebenso wie das 1957 abgerissene Kaufhaus "mit der Moderne nach 1918 aus dem Blickfeld der Architekturgeschichtsschreibung verschwunden ist", wie Berlins Landeskonservator Jörg Haspel im exzellenten Begleitbuch anmerkt.

Das stimmt. Obwohl Messel die Architekturentwicklung zwischen Historismus und Moderne in Berlin maßgeblich beeinflusste, sind ihm nur wenig Kränze geflochten worden. Das mag zum einen daran gelegen haben, dass drei Viertel der Berliner Bauten des 1853 in Darmstadt geborenen Messel im Krieg zerstört und vergessen wurden. Erst der Architekturhistoriker Julius Posener hat in den 1980er-Jahren Messels Bauten als bedeutende Zeugnisse für die Zeit des Wilhelminismus und einer "Vormoderne" erkannt und gewürdigt.

Zum anderen erinnern die bestehenden und das einzige wirklich bekannte Gebäude - das Pergamonmuseum - äußerlich nach wie vor an wuchtige preußische Trutzburgen. Nicht nur für die Messel nachfolgenden Jünger der Bauhausmoderne oder die Rezipienten des International Style war das, was Messel, Ludwig Hoffmann oder Hans Poelzig zur Jahrhundertwende realisierten, lange Zeit schlichtweg reaktionär.

In der Tat baute Messel von Beginn an bis zu seinem frühen Tod 1909 in jenem eklektizistischen Stil aus wuchtigen Sockeln, Säulenportikus, klassizistischen Fassaden und Giebeln. Das Haus für den Lette-Verein am Viktoria-Luise-Platz (1897) oder die Landesversicherungsanstalt (1904) am Köllnischen Park spiegeln bis dato diese ausladende und rustikale Formensprache. Für das nach 1871 wirtschaftlich etablierte und politisch aufstrebende Großbürgertums Berlins waren dies wichtige Chiffren der Macht, Größe und Bedeutung. Man baute sich Waren- oder Stadthäuser, Badeanstalten, Schulen, Banken, Parlamente oder Unternehmenszentralen mit Zitaten der feudalen Zeit - aber funktional, ohne den klassischen Aufbau, mit sachlichen Interieurs und geradezu experimentell.

Für diese Zäsur steht Messel. Durchbricht man etwa die klobigen Mauern des Pergamonmuseums, das Messel im Staatsauftrag ab 1909 als gewaltigen dreiflügeligen Koloss erweitern sollte, steht man in moderner Architektur. Unter den Oberlichtern bauen sich auf weiten Flächen fast emotionslos die Altäre auf. Die Ausstellungsräume im Obergeschoss sind nicht mehr als große kühle Kabinette. Das Großraummuseum mit Sälen, Hallen und Funktionsräumen hat die adelige Galerie abgelöst.

Die Raumerfahrungen in dieser quasi zeitlosen, abstrakten Architektur haben später Ludwig Mies van der Rohe und Oswald Mathias Ungers - nach dessen Plänen das Museum umgebaut wird - begeistert. Sie sind der beste Beweis für Messels moderne Inspirationen. Was man von der Durchschnittsware heute am Leipziger Platz nicht sagen kann.

Bis 7. Februar 2010 in der Kunstbibliothek am Kulturforum

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!