Ausstellung: Verführung zur Erkenntnis
Die Hamburger Kunsthalle zeigt die erste große Retrospektive des Malers Philipp Otto Runge seit 30 Jahren. Eine hochkarätige, angenehm sperrige Ausstellung - und preiswert bestückt obendrein.
Dieser Mann war nie zufrieden. Erst missfielen ihm seine zeichnerischen Fertigkeiten, dann seine Porträts, schließlich die Komposition des "Großen Morgen": Philipp Otto Runge (1777-1810) war ein komplizierter Charakter - und mit seiner lebenslangen Tuberkulose und Armut wäre das nur unzureichend erklärt.
Woran er zu scheitern glaubte, waren seine Ansprüche. Der Visionär der Frühromantik, dem die Hamburger Kunsthalle zum 200. Todesjahr eine Retrospektive widmet, wollte nicht bloß Äußerlichkeiten abbilden. Er wollte die Welt als Ganzes darstellen, Natur, Kosmos, Lebewesen als untrennbar verbunden zeigen - jedes Detail eine göttliche Offenbarung.
Damit stand er Denkern wie Ludwig Tieck und Friedrich Schlegel nahe, dass aber ein solcher Anspruch künstlerisch kaum einlösbar ist, verwundert kaum: Wie will ein Maler das Verborgene zeigen, das allenfalls Erahnte?
Runge, an Mystikern wie Jakob Böhme geschult, hätte gut zum Philosophen getaugt. Aber er wollte seine Gedanken malen, und er tat es. Auf Umwegen: Zu Beginn seiner Laufbahn bildete er durchaus brav im klassizistischen Sinne antike Griechen- und Römerskulpturen ab. Dann kam der Wettbewerb um die Weimarer Kunstausstellung von 1801: Verlangt wurde ein mythologisches Thema. Runge malte, war siegessicher - und scheiterte. Zu frei, zu "manieriert" fanden die Juroren das Bild.
Runge schäumte und schwor der Themen- und Formenstrenge des Klassizismus ab. "Wir sind keine Griechen, können also auch nicht fühlen wie sie", sagte er jetzt. Kunst solle autonom sein und nicht am abzubildenden Gegenstand kleben.
Solche Ideen lesen sich fast wie ein konstruktivistisches Manifest, und für damalige Verhältnisse waren sie in der Tat revolutionär. Und Runge malte: keine antiken Mythen, sondern einen Mikrokosmos aus eigenen Symbolen. Seine Bilder strotzen vor Blumen, Genien - geflügelten Schutzgeistern - und fast anthroposophischen Farbskalen.
Dass seine Motive weit weniger verständlich waren als die von ihm geschmähte Antike, dass Zeitgenossen das Hermetische kritisierten: Es berührte ihn nicht. Auch dass er für seinen "Kleinen Morgen" Aurora als Göttin der Morgenröte verwandte und explizit auf die griechische Antike zurückgriff, rechtfertigte er nie. Er bezeichnete sie vielmehr mal als römische Venus, mal als christliche Maria und platzierte sie neben einem Baby, das für Christi Geburt stand. Denn seine Religiosität war keine christliche. Runge zielte auf etwas universell Göttliches, mithin auf ein flexibles, ja "tolerantes" Gemisch.
Das war schwerer Stoff, aber Runge glaubte die Betrachter zur Erkenntnis verführen können, waren doch die meisten Szenen seiner "Morgen"-Bilder zunächst als Raumdekorationen konzipiert. Über die Details, die doch Ausdruck des Göttlichen seien, hoffe er die Menschen zu gewinnen, hat Runge gesagt. Und tat damit letztlich das, was er am Klassizismus kritisierte: Er illustrierte - seinen eigenen Kosmos.
Merkwürdig formal sind dabei seine Ornamente, distanziert bleiben häufig seine Porträts: Selbst das Bild der "Hülsenbeckschen Kinder" zeigt eher kindliche Entwicklungsstufen als Individuen. Er war und blieb eben Theoretiker, der sich auch der Verfremdung bediente: Der gemalte Rahmen der "Lehrstunde der Nachtigall" etwa ist derart haptisch und vom Innenbild getrennt, dass man schlicht nicht entscheiden kann, welches Bild wichtiger ist.
Aber auch wenn die Dame auf dem Gemälde die Züge seiner späteren Ehefrau Pauline trägt: Runges Bilder bleiben oft statisch, die Figuren distanziert. Er ist Frühromantiker, mithin ein Vorläufer der "empfindsamen" Romantik eines Caspar David Friedrich, der Runge um 30 Jahre überlebte.
Sieht man die beiden norddeutschen Maler zusammen, die Kunsthallen-Direktor Alfred Lichtwark um 1900 wieder entdeckte, schärft sich Runges Profil: Zwar war er es, der die Romantik theoretisch unterfütterte. Doch er blieb ein Kind des Klassizismus und wollte eher den Intellekt anregen als das Gefühl.
Vielleicht wäre es interessant, beide tatsächlich nebeneinander zu stellen, den einen als Vollender des anderen zu sehen. Denn der 33-jährig verstorbene Runge hinterließ nicht nur ein unvollendetes Gesamtwerk. Auch sein letztes Bild, der "Große Morgen", erhielt sich nur als Fragment. Ein Nachfahr hat die Figuren ausgeschnitten und die Einzelblätter um 1890 der Hamburger Kunsthalle geschenkt.
Die setzte die Blätter auf grauen Grund und präsentiert sie seither als eine Art Collage. Sie spiegelt nicht nur die Zweifel Runges, der das Bild eigentlich vernichten wollte. Sie offenbart auch, einem Vermächtnis gleich, Runges Spiel mit der Illusion.
Dass diese Ausstellung - die erste große Retrospektive sei 30 Jahren - jetzt in Hamburg gezeigt wird, ist in mehrfacher Hinsicht erfreulich: Nicht nur, dass die klamme Kunsthalle, die den Großteil des Rungeschen Werks besitzt, eine so hochkarätige Schau preiswert aus eigenen Beständen bestücken konnte.
Sie hat es auch gewagt, einen sperrigen, erfrischend ambivalenten Künstler zu zeigen, der mit der grassierenden Eventkultur wenig zu tun hat: Einerseits zeigt sie einen Provokateur, der mit dem Antike-Hype des Klassizismus bricht. Andererseits einen kompositorisch und formal überstrengen Maler, der nur eine Deutung zulässt. Sie zu ergründen kostet Mühe. Ein erfreulich anstrengende Angelegenheit.
Bis 13. 3., Hamburger Kunsthalle
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