Ausstellung zur Meinungsfreiheit: Die Grenzen des Sagbaren
Die Ausstellung "Freedom of Speech" in Hamburg zeigt vergangene und aktuelle Polit-Kunst und mittendrin die umstrittenen Mohammed- und Holocaust-Karikaturen. Und fordert den Zuschauer nachdrücklich dazu auf, seine eigene Idee von Meinungsfreiheit zu überprüfen.
Und dann steht man vor diesem Bus, einem Lufthansa-Shuttlebus, und denkt: Ja, das ist eine nette Intervention, diesen Bus, mit dem sonst Geschäftsleute zum Flieger rollen, "Deportation Class" zu nennen. Andererseits: solche künstlerischen Interventionen hat es schon öfter gegeben. Hat sich also der Hamburger Kunstverein eigens die Mühe gemacht, Silke Wagners Bus extra ins Obergeschoss zu bugsieren - nur, damit wir uns erinnern?
Aber die Kuratoren der Ausstellung "Freedom of Speech" präsentieren die Arbeit nicht pur, so wenig wie alle anderen: Man hat sie vielmehr vom Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung (DISS) auf Bedeutung und Rezeption analysieren lassen, und so findet sich auch zu dem Lufthansa-Bus ein erhellender Text: Lufthansa nämlich hatte die Künstlerin verklagt. Die Bezeichnung "Deportation Class" verbitte man sich, wolle nicht in die Nähe des NS-Regimes gerückt werden - das sei Missbrauch des Labels. Später habe sich dann gezeigt, sagt Kunstvereins-Chef Florian Waldvogel, "dass die Lufthansa Abschiebe-Häftlinge intern selbst ,deportees' nennt." Peinlich.
Peinlichkeiten von den 60er Jahren bis heute - für Unternehmen und Regimes - gibt es in dieser Ausstellung nicht zu knapp zu sehen. "Wo sind die Grenzen der Redefreiheit? Wer dürfte sprechen, wenn nur die Wahrheit ausgesprochen werden dürfte?", lauten die Fragen, die sich die Macher selbst gestellt haben - und als Wegweiser an die Wände gepinselt. Wenn sich dazu die Ausstellungsarchitektur auf meterhohe Bauzäune beschränkt, wirkt das erstmal, als habe ein angejahrter Brokdorf-Aktivist Insignien der alten Zeiten hervorgekramt. Andererseits sind dem Staat ja bis heute keine anderen eingefallen; warum also fortschrittlicher als die Realität? Obendrein erlauben die Zäune nicht nur prima diskursiv deutbare Sichtachsen, der Zuschauer fühlt sich auch ein bisschen wie im Gefängnis, als kleines Menschlein durch hohe Gitter schauend.
Im Gefängnis gesessen hat der Brite Brian Haw zwar nicht. Aber die britische Regierung hat ihn seinerzeit verklagt und seine Anti-Irak-Kriegs-Installation, ein Ensemble aus Protestplakaten, blutigen Kinder-T-Shirts und Freiheitsparolen, schließlich abbauen lassen. Sechs Jahre später - im Jahr 2007 - rekonstruierte Mark Wallinger die Installation für das Museum Tate Britain. Und jetzt, abermals für den Hamburger Kunstverein.
Die juristische Komponente ist auch deshalb interessant, weil sie Kontinuität im Verhalten der Autoritäten verdeutlicht: So war etwa in den 60er Jahren ein New Yorker Galerist verklagt worden, weil er Marc Morrels Arbeit "Hanging" gezeigt hatte, eine zu zwei Säcken aufgeblähte US-Flagge, erschlafft am Galgen baumelnd. Auch der Strip-Club-Besitzer und Zeitschriftenmacher Larry Flynt, dessen Hustler in den 70ern absichtlich Pornographisches abbildete und Subversives schrieb, stand etliche Male vor Gericht. Diese Prozesse, sagt das DISS, hätten die Bandbreite, letztlich: die Freiheit von Kunst im juristischen Sinne enorm vergrößert.
Andererseits ist ja nicht alles Grenzwertige justiziabel - wobei "grenzwertig" natürlich bereits Setzung ist: Die in der dänischen Zeitung Jyllands-Posten gedruckten Mohammed-Karikaturen, nun im Herzen der Hamburger Ausstellung zu sehen, hatten kein juristisches Echo. Aber sie sorgten, gelinde gesagt, für Proteste in aller Welt. Er frage sich, sagt Florian Waldvogel, "ob westliche Stereotypen, die nachweislich falsch sind, in Karikaturen verwendet werden dürfen". So stimme es zum Beispiel nicht, dass auf muslimische Selbstmordattentäter im Paradies Jungfrauen warteten. Es handele sich vielmehr auf gläserne Tauben, sagt Waldvogel: "ein Übersetzungsfehler".
Gleich daneben zeigt man in Hamburg nun die mindestens so strittige Reaktion: den Holocaust-Karikaturen-Wettbewerb, den eine iranische Zeitung ausrief und dessen Resultat Jyllands-PostenJyllands-Posten ideologisch ins Konzept passten?" gleichfalls druckte. Sie zeitigten ähnliche Reaktionen: Da würden ethischen Grenzen verletzt, hieß es im Westen. Aber sind beide überhaupt vergleichbar? Wer definiert die Grenze ethischer, religiöser Verletzungen? Und warum sei nie diskutiert worden, fragt sich Waldvogel, "dass beide Konzepte - Anti-Islamismus und Antisemitismus - der rechtslastigen
Dass gleich daneben Olaf Metzels Arbeit "Turkish Delight" steht, macht die Dinge nicht leichter. Eine nackte Frau mit Kopftuch hat er in Bronze modelliert - und damit den patriarchalen Blick auf den weiblichen Körper kritisieren wollen. Die Kritik allerdings kommt, aus Sicht des DISS, nicht an: Der Betrachter wiederhole den patriarchalen Blick und nehme die Brechung nicht wahr. Wenn dem so ist: Wie viel ist dann eigentlich die Intention des Künstlers wert, die derart politisch aufgeladene zumal? Gehört die mögliche Rezeption mit einkalkuliert? Und lässt sich nicht demagogisch damit spielen?
Das hat zum Beispiel die Bild getan, am 4. September 2010: Unter dem Titel "Das wird man ja wohl noch sagen dürfen" hat sie Parolen wie "Zu viele junge Ausländer sind kriminell" und "Wer Arbeit ablehnt, verdient keine Stütze" und "Auf den Schulhöfen muss deutsch gesprochen werden" gedruckt. Strafbar ist keine davon. Das Perfide liegt in der Argumentation, man dürfe derlei normalerweise eben nicht sagen, werde mithin in seiner Freiheit eingeschränkt. Ist das westliche Konzept der Meinungsfreiheit also zum Scheitern verurteilt? Wohin führt totale Meinungsfreiheit - zur Inflation von Wahrheit? Am Ende in die Diktatur?
Man wird an Grenzen geführt in dieser Ausstellung, zu echter, mühevoller Selbstreflexion getrieben. Antworten bekommt man keine: "Freedom of Speech" beansprucht keine Definitionshoheit bezüglich des Sagbaren und Zulässigen. Sie stellt sie lästige Fragen. Man kann in ihnen hängen bleiben wie in einem Loop - dem Loop gewohnter Argumentationsmuster. Kein Zweifel: Dieser Parcours ist ein erfreulich anstrengender Selbstversuch.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen