Ausstellung zur Geschichtsbewältigung: Kein Kitsch in Reinform
Das Kunstmuseum Stuttgart zeigt die Ausstellung „Der Traum vom Museum ‚schwäbischer‘ Kunst“. Es arbeitet damit seine NS-Vergangenheit auf.
Vor Kurzem wurde bekannt, dass der Namensgeber des Alfred-Bauer-Preises für das NS-Regime gearbeitet hat und nicht einfach, wie angegeben, für die UFA. Jahrzehntelang hat das Berlinale-Festival mit dem Preis innovative Filme ausgezeichnet. Auch der Kunsthistoriker Werner Haftmann, der wie kein anderer die Anfänge der Documenta geprägt hat, wurde jüngst von seiner Vergangenheit eingeholt. Er war Mitglied der NSDAP, wenn auch wahrscheinlich aus strategischen Gründen, wegen der Karriere und der Kunst.
Solche Nachrichten produzieren derzeit ein großes Medienecho. Das ist gut so, aber Aufschrei und Empörung allein sind deplatziert. Vielmehr müssen wir uns mit dem Gedanken vertraut machen, dass sehr viel mehr Menschen mit dem nationalsozialistischen Apparat verstrickt waren als geglaubt. Auch 75 Jahre nach Kriegsende lohnt es sich, in die Archive zu gehen und die Ergebnisse zu veröffentlichen, wie es das Kunstmuseum Stuttgart gerade vormacht.
Das erst 2005 mit einem zentral gelegenen Neubau versehene Kunstmuseum Stuttgart zeigt internationale Kunst der Gegenwart, verbunden mit einem Schwerpunkt regionaler Kunst. Seit neuestem muss es sich mit der Tatsache auseinandersetzen, auf eine nationalsozialistische Gründung zurückzugehen. Eigentlich hatte der Provenienzforscher Kai Artinger „nur“ nach NS-verfolgungsbedingt entzogener Kunst fahnden sollen.
Die Recherchen weiteten sich jedoch zu einer umfassenden Durchleuchtung der Geschichte der Stuttgarter Sammlung aus. Dokumente belegen, dass es ausgerechnet Karl Strölin war, Stuttgarter Oberbürgermeister und seit 1931 NSDAP-Mitglied, der erstmals Stellen für einen Sammlungsleiter, ein Kunst- und Kulturreferat sowie eine Kunstkommission schuf.
Heldische Soldaten und arische Familien
Sein Ziel: ein Museum „schwäbischer“ Kunst, völkischer, also nationalsozialistischer Prägung. Artinger fasste seine Recherchen in einem Buch zusammen, das zur Grundlage der keinesfalls spektakulären, aber äußerst aufschlussreichen Ausstellung wurde mit dem romanhaften Titel „Der Traum vom Museum ‚schwäbischer‘ Kunst“.
Nazi-Kitsch in Reinform, heldische Soldaten oder arische Familien am Tisch, sind in Stuttgart kaum zu finden. Oftmals handelt es sich um Gemälde von Malern aus der zweiten oder dritten Reihe, sagt Ulrike Groos, Direktorin des Kunstmuseums Stuttgart. Landschaften, Stillleben oder Porträts im Stile des 19. Jahrhunderts.
„Der Traum vom Museum,schwäbischer' Kunst“, Kunstmuseum Stuttgart, Kleiner Schlossplatz 1. Di.-So. 10-18 Uhr, Fr. 10-21 Uhr, bis 1. Juni. Katalog, Wienand Verlag, Köln, 264 Seiten, 38 Euro
Das BDM-Mädel mit dicken Zöpfen und brauner Uniformjacke hingegen ist zweifellos ein Beispiel für NS-Kunst um 1940, auch wenn die Kleine wenig heroisch aus dem Bild schaut. Gemalt hat es Fritz Ketz, ein Künstler, von dem man leider wenig wisse, sagt Artinger. Es gebe Hinweise, dass sich Ketz um die Entstehungszeit des Bildes vom Nationalsozialismus abgewandt habe, aber Quellen, die das belegen, habe er bislang nicht.
Völkische Kunst war damals in Stuttgart offenbar gleichbedeutend mit Gattungskunst. Das Herz der „schwäbischen“ Sammlung bestand aus Landschaften, von denen rund 100 als Prolog der Ausstellung eine große Wand bedecken. Elegisch sich schlängelnde Feldwege, heimelige Wälder, Flüsse und Seen.
Keinerlei avantgardistische „Verfallskunst“
Doch kauften die Nazis auch eine kubistisch inspirierte Alhambra-Ansicht von dem nach 1945 abstrakt malenden Theodor Werner und ein exotisches Palmenmotiv bei Sonnenuntergang von dem international gefragten Grafiker und Tiermaler Fritz Lang. Es gab offenbar noch Ausrutscher. Eigentlich war klar, dass avantgardistische „Verfallskunst“ gemieden werden sollte. In der Staatsgalerie Stuttgart etwa wurden zeitgleich Werke der Moderne beschlagnahmt.
Es gab aber auch im Südwesten überzeugte NS-Künstler wie Hermann Tiebert, der sich dem Regime geschmeidig anpasste. Der begabte Maler der Neuen Sachlichkeit, der an der Kunstgewerbeschule in Karlsruhe und der dortigen Kunstakademie studiert hatte, passte kurzerhand seine Themen den ideologischen Zielen der NSDAP an.
Sein 1936 erworbener „Schäfer auf der Alb“ zeigt den markanten Kopf eines alten, aber keineswegs müde gewordenen Mannes. Tiebert produzierte in der Folge blutleere Darstellungen von Bauern und Mägden in Tracht und folgte penibel rassentheoretischen Klischees.
Aufregender als die Bilder sind die Dokumente in den Vitrinen, die Artinger aus den Archiven gezogen hat. Schwarz auf weiß steht es da, werden reale Akteure und Überzeugungen sichtbar. So bescheinigte etwa der Präsident der Reichskammer der bildenden Künste, Adolf Ziegler, 1937 dem Oberbürgermeister der Stadt Stuttgart, „daß die im Besitz der Stadt Stuttgart befindlichen 1000 Ölbilder und 1200 Zeichnungen keinerlei Werke der Verfallskunst enthalten haben, sondern im Gegenteil der Kulturpolitik des Nationalsozialismus in vorbildlicher Weise entsprechen“.
Geschönte Vergangenheitsversionen
Für Zündstoff in Stuttgart sorgen vor allem Artingers Recherchen zu Fritz Cornelius Valentien, Stuttgarter Kunsthistoriker und Kunsthändler, dessen Galerie in der dritten Generation heute mit Werken von grundverschiedenen Künstlern wie Max Ernst, Willi Baumeister oder Alfred Hrdlicka handelt. Valentien hatte sich wie viele andere eine geschönte Version seiner Vergangenheit zurechtgelegt, in der er als Verfechter der Moderne auftritt.
Tatsächlich hatte er noch 1937 Werke von Oskar Schlemmer, Gabriele Münter und August Macke gezeigt. Doch konnte Artinger auch belegen, dass Valentien weiterhin Geschäfte mit dem NSDAP-Kulturreferat machte und dass er eine fragwürdige Haltung in der „Rassenfrage“ einnahm.
Solche Einsichten haben die Nachfahren Valentiens zwar nicht ohne Widerspruch zur Kenntnis genommen, doch zeigen sie sich offen für das Gespräch. Seine Enkelin Imke Valentien wird am 19. Mai an einer Podiumsdiskussion mit Kai Artinger und Ulrike Groos teilnehmen, bei der es um Stuttgarter Kunsthändler im Nationalsozialismus geht am Beispiel des Gründers der heute renommierten Galerie Valentien.
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