Ausstellung zum belgischen Symbolismus: Ein Spiel mit der Endzeit
Was coronabedingt nur wenige sehen durften, kann nun virtuell nachgeholt werden. Ein Rundgang durch die Schau „Dekadenz und dunkle Träume“.
Eigentlich hätte es die Schau sein sollen, die die belgischen Symbolisten mal raus aus der kunstgeschichtlichen Versenkung holt, um ihnen das gleiche Licht zu gönnen wie den zeitgleich malenden Impressionisten. Eigentlich. Hat aber Corona versaut. Statt der erhofften Blockbusterschau wurde die Berliner Ausstellung „Dekadenz und dunkle Träume. Der belgische Symbolismus“ in der Alten Nationalgalerie zum pandemiebedingten Flop, der sich nun unter dem Titel „Dekadenz und digitale Träume“ in einem 360-Grad-Rundgang nachträglich virtuell begucken lässt.
Und dass dieses Angebot angenommen wird, kann man nur hoffen, weil sich die insgesamt 27.800 BesucherInnen dieser wirklich imposanten Schau doch einigermaßen kläglich ausmachen, etwa im Vergleich zu den 160.000, die 2018 die ähnlich weit ausgreifende „Wanderlust“-Ausstellung in der Alten Nationalgalerie sehen wollten.
Aber die belgischen Symbolisten sind schlicht Coronaverlierer. Eigentlich bereits für die Sommermonate des vergangenen Jahres geplant, wurde die Aussttellung angesichts des ersten Lockdowns in den Herbst und damit letztlich in den nächsten Lockdown verschoben. Nur etwa sechs Wochen war sie – coronabedingt eingeschränkt – öffentlich zugänglich. So können ein paar digitale Nachzügler die Bilanz der opulenten Schau noch ein wenig aufpeppen. Einerseits.
Denn wenn man dann mit der Maus durch die Gänge und Säle der Alten Nationalgalerie huscht, merkt man andererseits doch schmerzlich sofort, dass das nur ganz entfernt eine Ahnung geben kann vom Flanieren in der Kunst. Wie auch das Blättern im Katalog verweist es immer gleich darauf, dass das jetzt ein Surrogat ist und ganz und gar nicht the real thing. Aber gut.
Keiner drängelt sich vor
Bleibt ja auch das Positive: Da drängelt sich beim virtuellen Rundgang niemand vor die Bilder und man wird selbst nicht weitergescheucht, man muss nicht mal Eintritt zahlen, man darf immer wieder rein ins Museum und sogar nachts, allein. Aber so allein kann man sich halt auch nicht mit den sonst drängelnden und scheuchenden MuseumsmitgängerInnen austauschen. Zum Beispiel darüber, was sie denn davon halten, dass bei diesem in 13 Kapitel gegliederten Rundgang gleich als erstes „Die Frau als Rätsel“ präsentiert wird.
Dass im Zentrum der symbolistischen Kunst immer wieder die „gleichermaßen sinnlich verführerische wie unnahnbare Frau“ stehe, ist dazu erklärend lesen. Und dass die Frau gern im mythologischen Gewand daherkommt. Als Sphinx etwa wie in dem Gemälde „Liebkosungen“ von Fernand Khnopff mit seiner zärtlichen, klammen Annäherung eines Jünglings und der Frau mit Gepardenkörper.
Die weiteren Kapitel der Schau heißen „Rendezvous mit dem Tod“, „Das Erwachen des Unbewussten“ oder „Schönheit und Wahn“. Ein Kapitel mit dem Titel „Der Mann als offenes Geheimnis“ oder ähnliches findet sich nicht. Und, wenn ich es recht sehe, bis auf eine Ausnahme keine Künstlerin. Aber dass da die Männer die Kunst machten und sie die Frau malten, in dieser Hinsicht waren die Symbolisten wirklich keine Ausnahme.
Gesellige Fratzen
Und die Symbolisten erfreuten sich keineswegs nur am Morbiden wie James Ensor mit seinen doch recht geselligen Fratzen, Masken und Totenschädel. Es finden sich bei dem Rundgang, bei dem man sich zu einzelnen Bildern auch noch Audiobeiträge anhören kann, so auch einfach hübsche Landschaften. Und manchmal wiederum ganz schön schwüle Schaustücke, die mit ihren Nackerten wenigstens aus einer heutigen Perspektive heftig zum Kitsch drängen.
Dekadenz und digitale Träume: Virtuelle Ausstellung zum belgischen Symbolismus. www.smb.museum/dekadenz
Es gibt akademische Salonmalerei zu sehen mit dem Hang zur üppigen Pracht und ein Bild weiter jugendstilig Verknapptes. Ein Sammelsurium an Stilen, was schon auch den Reiz der Schau ausmacht. Das Kunterbunte, mit diesen Bildern wie Kippfiguren, bei denen es hü und hott geht und man gerade nicht mehr zwischen dem guten Geschmack und der Geschmacksverirrung unterscheiden will.
Aber der Symbolismus, sich ab den 1880er Jahren formierend, ist eben eine typische Fin-de-siècle-Kunst. Ein Spiel mit der Endzeit, die man damals zu spüren meinte und wo man sich eben gleichfalls gar nicht entscheiden musste zwischen der Zukunftseuphorie und Zukunftsangst, die letztlich doch beide aus den gleichen großen Bewegungen der Zeit getriggert waren. Die rasende Industrialisierung, der aufflammende Nationalismus, die Erkenntnis wie Ausbeutungsmöglichkeiten schaffenden Naturwissenschaften: da konnte man drauf setzen, da konnte man Angst vor haben.
Die Symbolisten malten die angstlustigen, lustängstlichen Bilder dazu.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Als digitales Angebot sind sie nun online einsehbar, ohne irgendwelche Ausstellungsdauerbeschränkungen, während die für die „Dekadenz“-Schau ausgeliehenen Exponate schon wieder zurück an ihren jeweiligen Heimatadressen sind.
Manches Schaustück der Symbolisten-Ausstellung aber kann in Berlin auch weiterhin beguckt werden, ganz real sogar wie „Die Sünde“ von Stuck und Böcklins „Toteninsel“, die die Schau aus Berliner Bestand ergänzten. Prunkstücke der Alten Nationalgalerie, die derzeit ja geöffnet hat. Man muss für einen Besuch nur online ein Zeitfensterticket buchen.
Und momentan laufen die Vorbereitungen zu einer großen Gauguin-Ausstellung, was man durchaus als ein weiteres Kapitel in der Auseinandersetzung mit dem Symbolismus in der Alten Nationalgalerie sehen kann. Am 20. Juni soll sie starten.
In der Ankündigung der Schau allerdings darf dann dieser eine Satz doch nicht fehlen: „Coronabedingt kann sich die Laufzeit der Ausstellung kurzfristig ändern.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Comeback der K-Gruppen
Ein Heilsversprechen für junge Kader
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Liberale in der „D-Day“-Krise
Marco Buschmann folgt Djir-Sarai als FDP-Generalsekretär