Ausstellung zum 20. Juli: Nichts Heroisches

Alfred Hrdlickas expressive Grafiken zum 20. Juli 1944 sind politisches Lehrstück und große Kunst zugleich. Derzeit sind sie im Willy-Brandt-Haus zu sehen.

Alfred Hrdlicka 2008. Bild: reuters

Als die Gedenkstätte Deutscher Widerstand kürzlich ihre neue Dauerausstellung zum 70. Jahrestag des gescheiterten Attentats auf Adolf Hitler 1944 präsentierte, konnten die Besucher gleich in mehrfacher Weise einen Paradigmenwechsel wahrnehmen: Im Bendlerblock, dem historischen Ort des Umsturzversuchs in Berlin, wird man – wie bislang ausgiebigst – nicht nur über das Attentat von Claus Schenk Graf von Stauffenberg und seiner Mitverschwörer am 20. Juli 1944 informiert. Auch andere Formen und politische Akteure des Widerstands in der NS-Zeit sind jetzt Teil des Ausstellungskonzepts. Zudem wird unser kollektives, medial aufgeladenes Bildgedächtnis entrümpelt. Was nochmals von Tom Cruise in seinem „Operation Walküre“-Film aufgefrischt wurde, diese Erinnerung an den vom legendären Image Stauffenbergs mit seiner Augenklappe geprägten 20. Juli, die wird durch einen deutlich unheroischeren Blick der Schau auf die Attentäter wieder klarer.

Die Attentäter des 20. Juli 1944, die mehrheitlich eingefleischte Militaristen waren, und ihre Henker sind derzeit auch das zentrale Thema einer Ausstellung im Willy-Brandt-Haus. Alfred Hrdlickas Grafikzyklus „Wie ein Totentanz – Die Ereignisse des 20. Juli 1944“ erzählt auf 53 schwarz-weißen Blättern und auf den ersten Blick recht chronologisch die dramatischen Ereignisse in ausgewählten Szenen: Hitlers teuflischer Krieg im Osten, der Holocaust, Himmlers SS, die Revolte im Bendlerblock, das Bombenattentat in der Wolfsschanze, die „Operation Walküre“, Stauffenbergs Exekution, schließlich der Triumph Hitlers und seiner Spießgesellen über die Toten am Fleischerhaken in Plötzensee. Dort, in der Gedenkkirche im Evangelischen Gemeindezentrum Plötzensee, ist übrigens auch der „Plötzenseer Totentanz“ von Hrdlicka mit biblischen Bezügen zu sehen.

Bar jeder Mythisierung

Die Drucke, mal als Radierung, Zeichnung oder Schabblatt, mal ganz fein gezeichnet für Gesichter und Umrisse, dann wieder flächig und dunkel für große Motive und Räume, entstanden 1974, dreißig Jahre nach der Bombe, und waren bereits damals bar jeder Mythisierung. Hrdlicka, der Bildhauer, der Provokateur und Antifaschist aus Wien, schuf ein Totentanz-Statement: „Ich bin wie ein Lautsprecher“, sagte er damals. „Die Radierung eignete sich als Mittel zur politischen Botschaft am besten. Es geht schnell und ist direkt.“

Die Agitprop-Aussage in der Nachfolge von 1968 allein wäre es nicht wert, sich auf den Weg ins Willy-Brandt-Haus zu machen. Dass der Radierzyklus auch vierzig Jahre nach seiner Entstehung dennoch ein Highlight in der künstlerischen Rezeption des 20. Juli ist, liegt an Hrdlickas „intensiver Verarbeitung und Bewältigung eines Themas“ und in seiner „Imagination“, wie Hannes Ferrow im Katalog zu recht anmerkt.

Sicher, der Zyklus ist – wie die Arbeiten etwa von Fritz Fleer, Joseph Beuys oder Wolf Vostell – heute ein Zeitdokument. Wie andere linke politische Künstler nach 1968 opponiert auch der Wiener gegen die süßlichen, glorifizierenden oder geschichtsverfälschenden Darstellungen des Widerstands aus den 1950er und 1960er Jahren. Gewalt, Entrechtung und Unterdrückung als Mittel der Politik, so die programmatische Aussage, führen ins unmenschliche Schlachthaus des Faschismus.

Doch zugleich mit der Entzauberung der Attentäter und des Attentats spannt Hrdlicka durch eine neue Erzähltechnik einen zweiten Bilderbogen über den 20. Juli. Quasi als „Parallelhandlung“ wird der Aufstieg des deutschen Militarismus von seinen Anfängen beim Alten Fritz, über die Soldaten der Freiheitskriege, das Kaiserreich, die NS-Zeit und bis in die Gegenwart mit in die Chronik eingewebt. Es sind expressive, figürliche, brutale Grafiken einer düsteren Geschichte mit Konsequenzen.

„Wie ein Totentanz“ kommentiert aber nicht nur die politischen Verhältnisse. Hrdlickas Drucke sind Mittel zum Zweck und große Kunst. Neben SPDlern werden darum auch Kunsthistoriker im Willy-Brandt-Haus befriedigt, taucht doch der Wiener Künstler und Hochschullehrer (1928–2009) mit dem Zyklus tief in die Kunstgeschichte ein.

Seit dem Mittelalter ist der Totentanz ein wesentliches Motiv in der bildenden Kunst. Jacques Callot, Goya, Beckmann, Francis Bacon, Otto Dix oder Bernhard Heisig haben das Thema bis ins 20. Jahrhundert transportiert. Hrdlicka erweist diesen seine Referenz, er zitiert Goyas Gequälte aus den „Desastres de la Guerra“ oder aus Beckmanns „Die Nacht“. Man erkennt die Militärs aus Dix’ „Der Krieg“ und aus Heisigs dramatischen Schlachtengemälden wieder. Die Mörder tragen zwar Uniformen der SS, die Opfer die der Wehrmacht oder sie sind in Zivil, sie bedeuten aber mehr als nur Bildfiguren aus der Zeitgeschichte.

Der „Totentanz des 20. Juli 1944“, so Hrdlicka, steht für viele gleichwertige Ereignisse – in der Geschichte wie in der Kunst.

■ „Wie ein Totentanz“: Willy-Brandt-Haus, Stresemannstr. 28, bis 29. August, Di–So 12–18 Uhr, Eintritt frei, Ausweis erforderlich
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