Ausstellung zu Staatsbürgerschaften: Eine Frage der Nation
Im Deutschen Historischen Museum Berlin geht es um Staatsbürgerschaften. Um Papierstücke, die viel bewirken.
Nach jüngsten Meldungen bereitet Russland derzeit die Integration der Region Cherson im Süden der Ukraine in das eigene Staatsgebiet vor. Damit verbunden wäre der zwangsweise Wechsel der Staatsbürgerschaft für diejenigen Ukrainer, die noch nicht von dort geflüchtet sind.
Die Nachricht macht deutlich, wie aktuell eine Ausstellung im Berliner Deutschen Historischen Museum über Staatsbürgerschaften ist. Es geht um eine imaginäre Zugehörigkeit, ein vermeintliches Privileg, das sich zugleich zwangsläufig ins Gegenteil verkehrt, weil andere Menschen eben nicht über diese, sondern eine andere Zugehörigkeit verfügen. Staatsbürgerschaften haben in aller Regel etwas Zufälliges, denn sie werden, anders als im Fall des besetzten Cherson, meistens qua Geburtsort oder der Abstammung verliehen.
Staatsbürgerschaften sind Fluch und Segen – und eine Ausgeburt der Französischen Revolution, die den Citoyen erfand, den Bürger, der durch seine Zugehörigkeit zum Staate über anerkannte Rechte, aber auch über Pflichten verfügte.
Es ist deshalb selbstverständlich, dass Frankreich auch ein hervorragender Platz in der Ausstellung gebührt. Kurator Dieter Gosewinkel hat dem aber nicht einfach nur Deutschland beigefügt, sondern ein weiteres Nachbarland hinzugesetzt: Polen. Das „Weimarer Dreieck“ also, von dem in letzter Zeit nicht so viel zu hören war.
Länder historisch miteinander verknüpft
„Staatsbürgerschaften. Frankreich, Polen und Deutschland seit 1789“. Deutsches Historisches Museum Berlin, 1. Juli bis 15. Januar 2023. Der Katalog (253 Seiten) ist bei Piper erschienen und kostet 22 Euro.
Dennoch ist die Auswahl folgerichtig, denn gerade diese drei Länder sind durch ihre Staatsbürgerschaften miteinander verknüpft und verkettet, mit ihnen verbinden sich die besten Traditionen (Frankreich) wie die furchtbarsten (Deutschland). Dem einen Land ging seine Staatsbürgerschaft wie der ganze Staat zeitweise verloren (Polen), das andere trachtete danach, die Welt mit seinen streng „arischen“ Staatsbürgern zu beherrschen (Deutschland).
Wie aber bekommt man so etwas Papierenes in eine Ausstellung, die doch über mehr als nur zwei Dimensionen verfügen sollte? Welche Objekte eignen sich dazu, um den Begriff Staatsbürgerschaften zu illustrieren? Zwangsläufig muss diese Ausstellung darunter leiden, dass als „Flachware“ geschmähten Stücke wie Bücher, Plakaten und – in diesem Fall – Pässe und Legitimationen dominieren. Aber wer sich davon nicht abschrecken lässt, der findet so einige großartige Werke darunter.
Vor allem aber gelingt es der Schau, den ambivalenten Charakter von Staatsbürgerschaften deutlich zu machen. Zu Beginn stehen da Bertolt Brechts Sätze „Der Pass ist der edelste Teil von einem Menschen. Er kommt auch nicht auf so einfache Weise zustand wie ein Mensch.“
Geschrieben hat Brecht das 1940/41, zu einer Zeit also, als Deutschland politisch missliebigen Emigranten die Staatsbürgerschaft entzog, während andere – besonders die Jüdinnen und Juden – gar nicht mehr als vollwertige Staatsbürger galten, sondern ermordet wurden. Dieser Punkt der Negation von Gleichheit und der Unterdrückung qua Reisepass taucht in mehreren der sechs Themenräume wieder auf, immer dann, wenn es um Rassismus, Antisemitismus, Kolonialismus und den Entzug von Privilegien geht.
Staatsbürgerschaft schließt genauso ein wie aus
Andererseits: Staatsbürgerschaft ist eben auch eine „Verrechtlichung von Zugehörigkeit“, so Museumsleiter Raphael Gross, die Lebens- und Überlebenschancen bietet, vor allem aber verbriefte Rechte beinhaltet, darunter – jedenfalls in Demokratien – das Wahlrecht. Sie schließt allerdings in der Regel jene Inhaber einer fremden Staatsbürgerschaft von genau diesem Recht wieder aus. Und sie war lange, zumindest für die männlichen Staatsangehörigen, mit der Pflicht zum Militärdienst verbunden.
„Was sind Sie denn eigentlich – ein Pole, ein Deutscher oder wie?“ „Ich bin ein halber Pole, ein halber Deutscher und ein ganzer Jude“, antwortete Marcel Reich-Ranicki auf diese Frage. Zur Staatsbürgerschaft gehört die Nation – und der Nationalismus. Das Zitat macht das lange geübte Prinzip der unbedingten Loyalität deutlich, das mit der Staatsbürgerschaft verbunden war und teilweise noch ist.
All jene aber, die emigrieren mussten oder wollten, die nun im falschen Staat lebten oder deren Heimat plötzlich einem anderen Staat zufiel, hatten und haben damit ein Problem: Sie zählen nicht dazu. Die Ausstellung erinnert da an Elsass-Lothringen, deren Bürger sich nach der Eindeutschung 1871 zu entscheiden hatten, Deutsche zu werden oder aus dem Land zu verschwinden.
Die Schau gedenkt der Polen, die als billige Arbeitskräfte zuerst nach Deutschland und dann nach Frankreich zogen, immer den vermeintlich falschen Pass im Handgepäck.
Positiver Ausblick
Das Deutsche Historische Museum gibt aber auch einen positiven Ausblick. Das Schlusskapitel ist der Erweiterung der Europäischen Union gewidmet, den Doppelstaatlern und den steigenden Einbürgerungsraten, der Supra-Nationalität, der Überwindung des Engstirnigen also, die in jüngster Zeit durchaus vorangekommen ist.
Ob es dabei bleibt? Kurator Gosewinkel möchte sich da nicht festlegen. Aber er warnt davor, zu glauben, dass sich die Vorstellung der einen Staatsbürgerschaft erledigt habe. Womit wir wieder am Anfang sind, bei Cherson in der südlichen Ukraine, deren Bewohner befürchten müssen, dass ihnen demnächst eine andere Staatsbürgerschaft als pures Herrschaftsmittel droht.
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