Ausstellung zu Shoah-Überlebenden: Wo die Zeitzeugen sprechen

In einer Ausstellung des Berliner Centrum Judaicum geben Menschen Zeugnis über ihre Verfolgung im NS-Regime. Sie ist eine Einladung zum Hören.

Ein Ausstellungsraum mit Monitoren mit den Gesichtern Überlebender.

Die Gesichter Überlebender auf Monitoren in der Aus­stellung „Ende der Zeitzeugenschaft“ Foto: Anna Fischer

Zeitzeugen der NS-Verfolgung, bei diesem Wort stehen den allermeisten Menschen alte und uralte Frauen und Männer vor ihren Augen, Greise, die bis in die letzten Tage ihres Lebens von den Scheußlichkeiten des Nazi-Regimes und ihrem eigenen Überleben berichten. Es sind Menschen, die ihrer altersbedingten Gebrechen zum Trotz immer wieder vor Schulkassen auftreten, in Fernsehinterviews oder in Zeitungsartikeln, bisweilen auch bei öffentlichen Veranstaltungen geehrt werden.

Dieser Eindruck ist gewiss nicht falsch, aber der verdeckt so einiges. Vor allem dies: Auch diese Menschen waren einmal jung!

„Ende der Zeitzeugenschaft“, so lautet der Titel einer Ausstellung im Berliner Centrum Judaicum, die diesen ersten Eindruck zu korrigieren weiß. Zu Beginn stehen Stelen mit Videos, darauf Gesichter von Menschen, und wenn man den Kopfhörer einstöpselt, erklingen die Stimmen dieser Gesichter – ältere und ganz alte Überlebende, die von ihrer Verfolgung berichten. Ihr eigener Umgang damit ist auch davon anhängig, wie diese Menschen ihre Todesängste und den Mord an ihren Nächsten verarbeitet haben.

Da gibt es diejenigen, die im Gespräch physisch dem Zusammenbruch nahe kommen – so wie Charlotte Kahane, ursprünglich aus Lemberg, wenn es um ihre im Holocaust getöteten Brüder geht. Auf der anderen Seite stehen die, die ihre eigene Erinnerung zur Mission ihres Lebens gemacht haben und fast schon professionell wiederholen, was sie Dutzende Male zuvor zu Protokoll gegeben haben.

„Ende der Zeitzeugenschaft“. Sonderausstellung in der Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum. Bis 8. Januar 2023, geöffnet von Sonntag bis Freitag

Und schließlich berichten wieder andere voller Stolz vom ihrem Kampf als Partisanen im besetzten Osten gegen das Mörderregime, so wie Samuel Makower. Die Aussagen machen zugleich deutlich, dass es eben nicht den Zeitzeugen der Verfolgung gibt, sondern welch unterschiedliche Strategien und Zufälle notwendig waren, um als einer von ganz Wenigen zu überleben.

Gespräche als subjektive Zeugnisse

Wer wie der Autor das Glück hat, in den letzten zwei Jahrzehnten einige dieser Menschen interviewen zu dürfen, weiß um diese Unterschiede, weiß auch darum, dass die Fragen die Differenzen ausmachen und solche Gespräche zwangsläufig zu subjektiven Zeugnissen werden lassen.

Denn manche Fragen werden nicht immer gestellt, auch aus Respekt. Andere werden nicht immer beantwortet, auch aus Furcht vor einer Überwältigung. Ich habe mir so manches Mal einen Psychologen an meiner Seite gewünscht, wenn meine Fragen alte Traumata berührten und Menschen so aus der Fassung brachten, dass sie nicht mehr weitersprechen konnten.

Auch das Leben dieser Zeitzeugen ist endlich – was geschieht, wenn sie nicht mehr da sind? Die Ausstellung streift die Versuche, computergestützte Videos zu erstellen, in denen bereits Verstorbene Auskunft auf konkrete Fragen des Zuschauers geben. Das sind wertvolle Ansätze gerade für die Jüngeren, denen die Verfolgten niemals mehr begegnen werden.

Vor allem stellt die Schau unsere Vorstellungen vom Kopf auf die Füße. Denn Zeitzeugen waren es auch, die noch während ihrer Verfolgung damit begannen, Berichte und Dokumente zu sammeln, um diese zu bewahren. Nur dank der Bemühungen dieser damals ganz jungen Menschen lässt sich heute ein besseres Bild des NS-Regimes, aber auch der Strategien des Überlebens zeichnen. Sie legten den Grundstein für das, was heute Holocaustforschung genannt wird.

Erinnerungen waren nicht gefragt

Die vom Jüdischen Museum Hohenems und der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg konzipierte und von der Berliner Kuratorin Alina Gromova erweiterte Schau folgt der Spur der Zeitzeugen, macht Station in den bleiernen 1950er Jahren, als kaum jemand etwas von ihnen wissen wollte und Erinnerungen nicht gefragt waren. Als nächste Station folgen die großen NS-Prozesse der 1960er Jahre, als die damals noch gar nicht so alten Überlebenden Zeugnis über das Mordsystem in Konzentrations- und Vernichtungslagern gaben und so manchen Täter identifizieren konnten.

Die Schau führt weiter in die 1970er Jahre, als der Spielfilm „Holocaust“ in der bundesdeutschen Öffentlichkeit eine breite Debatte bewirkte, und führt bis in die jetzige Zeit, in der die letzten lebenden Zeitzeugen einerseits hochgeehrt werden, andererseits aber angesichts der Vielzahl an Opfergruppen so etwas wie eine Konkurrenz des Opferstatus entstanden ist.

All diese Stationen werden von Hörstationen begleitet, wo nicht nur die Überlebenden selbst zu Wort kommen, sondern auch über frühe Versuche berichtet wird, das Geschehene zu verarbeiten – etwa in dem vergessenen Film „Lang ist der Weg“ aus dem Jahr 1948, der unter Displaced Persons in den Westzonen spielt, oder in dem Film „Mord in Frankfurt“ über den Auschwitz-Prozess (1968) in dieser Stadt.

Und so ist diese Ausstellung weniger eine Schau zum Sehen als eine große Einladung zum Hören. Wer von all den Gesprächen und Zeugnissen erfahren will, kann dort Stunden und ganze Tage verbringen. Und zuhören, was die Menschen zu sagen haben, denen lange Zeit niemand zu­hören wollte.

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