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Ausstellung zu FlüchtlingsprotestEin Bild der Bewegung

Am Ostbahnhof wird in einer Ausstellung die Geschichte der Flüchtlingsproteste nachgezeichnet – als Teil des Festivals „Die widerspenstige Internationale“

Das Camp am Oranienplatz war der zentrale Ort des Flüchtlingsprotests Foto: dpa

Ein Ort für große Diskussionen, für Pressekonferenzen, für Zusammenkünfte aller Art: Das große Zirkuszelt war das Herz des Protestcamps am Oranienplatz, seine Rückkehr eine der Hauptforderungen der FlüchtlingsaktivistInnen nach der Campräumung im April 2014. Im Juni letzten Jahres wurde es von Unbekannten angezündet, seitdem ist auch dieser Ort der Flüchtlingsbewegung verschwunden, heute steht am Oranienplatz nur der meist verwaiste Infocontainer als stummes Relikt. Die Bewegung, die AktivistInnen, die gibt es noch, einen zentralen, warnehmbaren Ort haben sie nicht mehr.

Dieser Ortsverlust ist ein zentrales Thema der Ausstellung „We Will Rise“ zur Flüchtlingsbewegung, die am heutigen Donnerstag am Ostbahnhof als Teil des migrationspolitischen Festivals „Die widerspenstige Internationale“ eröffnet – in einem Zirkuszelt. Wer das Rund der Zeltwände abläuft, vollzieht die Chronologie der Flüchtlingskämpfe in den letzten drei Jahren nach, angefangen von den Protestcamps in Bayern und dem Marsch nach Berlin bis heute. Auf Tafeln sind die wichtigsten Ereignisse dargestellt, viersprachig, großformatige Bilder vermitteln dazu einen Eindruck von der Unwirtlichkeit des Protestcamps im Winter, von der Verzweiflung der Hungerstreikenden, von den Erfolgserlebnissen auf Demonstrationen, von den Begegnungsmomenten am Oranienplatz. Auf jeder Tafel gibt es eine freie Fläche, hier können die AusstellungsbesucherInnen der Chronologie eigene Einträge hinzufügen.

„Wir betrachten diese Ausstellung nicht als etwas Abgeschlossenes, so wie wir auch unsere Bewegung nicht als abgeschlossen betrachten“, sagt Adam Bahar, Aktivist und ehemaliger Campbewohner, der die Ausstellung gemeinsam mit elf anderen Menschen aus dem Oranienplatz-Spektrum entwickelt hat. Jederzeit sollen neue Tafeln hinzugefügt und soll die Chronologie so weitergeschrieben werden können.

Beim Betrachten der Tafeln wird deutlich, was für eine enorme Dichte an öffentlich wahrnehmbaren Aktionen diese Bewegung in den vergangenen Jahren durchgeführt hat – wie groß der Output war, könnte man sagen: Platzbesetzung, Schulbesetzung, Hungerstreiks, Protestmärsche, Botschaftsbesetzungen, Kunstfestivals, Bustouren, Konferenzen, und immer und immer wieder Demonstrationen – selbst wer dieses Thema mitverfolgt hat, ist von der Fülle der Ereignisse, wie sie hier im Zirkusrund aufgezählt werden, fast erschlagen.

Deutlich wird auch, wie die Bewegung trotz dieser immensen Aktivität und der großen Aufmerksamkeit, die sie dadurch erreichte, immer wieder Rückschläge erlitt: Von der Aufbruchstimmung, die mit der Errichtung des Protestcamps verbunden war, ist auf späteren Tafeln kaum mehr etwas zu spüren. Auch die internen Konflikte, etwa um die Haltung zu den Verhandlungen mit dem Senat, die der Räumung des Protestcamps vorausgegangen waren, werden thematisiert. „Wir wollen mit dieser Ausstellung auch einen Ort schaffen, an dem die Aktivisten selbst reflektieren können: Wozu hat welche Entscheidung geführt, was ist uns nicht gelungen?“, sagt Bahar. Trotz Rückschlägen habe diese Chronologie für ihn aber einen bestärkenden, keinen frustrierenden Charakter: „Ich sehe diese drei Jahre nicht isoliert, sondern im Kontext einer langen Geschichte in Deutschland, in der Flüchtlingskämpfe fast gar nicht wahrgenommen wurden – damit verglichen haben wir unglaublich viel erreicht“, sagt er.

Neben der Chronologie besteht die Ausstellung aus fünf Themenkästen, an denen etwa die Bedeutung des Oranienplatzes als öffentlicher Ort, die Kämpfe der Flüchtlingsfrauen oder das Verhältnis der verschiedenen Gruppierungen innerhalb der Bewegung mit Video- und Audiomaterial, Texten und Presseausschnitten dargestellt werden. „Wir wollen den Betrachtern die Möglichkeit geben, sich ein differenziertes Bild von dieser Bewegung zu machen“, sagt Bahar.

Bis zum 25. Juli läuft auf dem Gelände am Ostbahnhof die „Widerspenstige Internationale“, ein von der Rosa-Luxemburg-Stiftung kuratiertes Festival zu den Themen Flucht und Migration. Die Ausstellung bildet ein Kernstück, dazu gibt es Podiumsdiskussionen, Konzerte, Lesungen und Vorträge, auch eine „Activist Speeddating Night“ als Vernetzungsmöglichkeit ist geplant. „Wir wollen mit diesem Festival eine Experimentierwerkstatt schaffen, in der verschiedene Bewegungen zusammenkommen und sich austauschen können“, sagt Veranstalter Koray Yilmaz-Günay, Referent für Migration bei der Linkspartei-nahen Stiftung.

Nach ihrer Station auf dem Festival soll die Ausstellung „We Will Rise“ ins Kreuzberg-Museum ziehen, wo sie bis Oktober zu sehen sein wird. Danach, sagt Bahar, soll sie in andere Städte weiterziehen und dort als Inspirations- und Reflexionsmöglichkeit dienen – und so zumindest zu einem Ort der Bewegung werden, wenn es den zentralen schon nicht mehr gibt.

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1 Kommentar

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  • Angesichts der Medienberichte und Eigenpräsentation der "Bewegung" rund um das Camp vom Oranienplatz kam bei mir schon vor langer Zeit der Verdacht auf, dass die Flüchtlinge größtenteils nur funktionalisiert werden, damit deutsche Szeneprominenz sich profilieren kann. Sei es durch unzählige Fotos sogenanter Demofotografen, die mit ihren besonders eindringlich, gerne in schwarzweiß gehaltenen und stets mit dicken Copyright- und Namensvermerken daherkommenden Bildern wohl eher Ruhm, Reputation und Awards im Sinne haben als den Menschen wirklich zu helfen, sei es durch marktschreierischen Aktivismus per Megafon oder Flugis mit einem Sprachduktus, den nur ein winziger Zirkel überhaupt gewillt ist, zu lesen.

     

    Für uns hier in der Provinz (Wegberg, ZUE des Landes NRW) sieht Flüchtlingsarbeit anders aus. Wir schreien zwar nicht so laut, haben aber unterm Strich erheblich mehr erreicht als die lauten Refugees-Gruppen in Berlin oder Hamburg.