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Ausstellung von Alex Müller im ZAKDas Ich in irre vielen Versatzstücken

Im ZAK erzählt die Künstlerin Alex Müller mit geradezu manisch vielen Arbeiten aus mehr als 20 Jahren vom Dasein in seiner Mühseligkeit und Wucht.

Schmal geschrubbte Handseifen: Alex Müller, „Die Zartheit des Täglichen 3“, 2023 Foto: Jens Ziehe, Courtesy die Künstlerin & Haverkampf Leistenschneider, Berlin

Alex Müller lernte den Alexanderplatz als Kind kennen. Die Künstlerin, 1969 im nordrhein-westfälischen Düren geboren, verbrachte damals ihre Sommer bei Großeltern und Tante in Berlin-Wilhelmsruh, bestaunte den Alltag im Schatten der Mauer, in Wilhelmsruh wie auch in Mitte. Die kleine Alex am großen Alex, zwischen Warenhaus, Weltzeituhr und Fernsehturm. Eindruck muss er auf sie gemacht haben. Nicht aber um den, sondern um die Alex, um sie selbst geht es primär in Alex Müllers Einzelausstellung im ZAK der Zitadelle Spandau. „Alexandraplatz“ heißt diese, nicht Alexanderplatz.

Die Künstlerin, inzwischen selbst Berlinerin, hat sich dort Platz verschafft. Auf einer ganzen Etage hat sie sich ausgebreitet mit Arbeiten aus den vergangenen 20 Jahren. Eine neue Installation besteht aus handschriftlichen oder mit der Maschine getippten Briefen hauptsächlich von ihrer Großmutter an deren Sohn, Müllers Vater. Dieser hatte 1961 im Jahr des Mauerbaus „rübergemacht“, mit 17, ohne ein Wort vorher zu sagen, was ihm seine Mutter nie verzieh. 350 Briefe sind es, in denen steht, was man sich eben so schreibt, Alltägliches, Sorgen, unterschwellige Vorwürfe. Von Paketen ist die Rede, von möglichen Treffen in Prag – als Überläufer war es Müllers Vater mehr als ein Jahrzehnt lang nicht erlaubt, die DDR zu betreten. Gedruckt hat die Künstlerin das Briefekonvolut auf rundlich weiche, Graubner-artige Kissenbilder. Sie sind ein Zeitdokument, erzählen von einer vergangenen Zeit, von deutsch-deutscher Geschichte, im Kleinen, beispielhaft, von der Mauer, die sich zwischen Familien geschoben hat.

Die Briefe zeichnen außerdem den Lauf der Zeit nach. Etwas, womit sich Müller auch in anderen Arbeiten beschäftigt. So hat sie mit buntem Papier beklebtem Besteck die Tage abgezählt. Immer vier Löffel oder Gabeln oder Messer und eins quer drüber. Ein ganzes Jahr ergibt sich, „Das erste Jahr“, wovon? Vom Rest des Lebens. Zweidrittel ihres Lebens hat Alex Müller schon hinter sich.

Die Auseinandersetzung damit, was es bedeutet nicht mehr jung, aber auch nicht alt zu sein, schwingt in allem mit, in den Fragmenten ihres Lebens, den autobiografischen Versatzstücken, die sie ineinander verwebt. Im Zählen und Abzählen – auch bodenlange, weiße Vorhänge hat sie mit Zählstrichen übersäht. Im Sichtbarmachen von Spuren, dem Verlauf des irdischen Daseins in all seiner Banalität. Für „Die große Zartheit des Täglichen“ hat sie schmal geschrubbte Handseifen – wie diese entstanden sind, zeigt eine Videoarbeit ein paar Räume weiter – in eine Hülle aus Wildseide gesteckt. In der kleinteiligen Mühseligkeit, die sie vorführt, bei den Wandzeichnungen etwa, die sich aus feinsäuberlich aufgeklebten Mohnsamen zusammensetzen.

Die Ausstellung

„Alexandraplatz“: Alex Müller. ZAK, Zitadelle Spandau, bis 30. April

Gewebtes, Gemaltes, Gestepptes oder Beklebtes

Die Freude an Materialen und deren Texturen kann man an all dem ablesen, was Müller für die Ausstellung zusammengetragen hat. Mehr als 50 Arbeiten. Gewebtes und Gemaltes, Gestepptes, Besticktes und Beklebtes. Ein zur Deutschlandkarte zugeschnittener Perserteppich. Koffer und Beautycase in gläsernen Kästen. Zerschnippelte Buchseiten auf Oblaten, Lesestoff gehäkselt zu appetitlichen Makronen. Objekte wie aus einer verwunschenen Märchenwelt, die auf den Alltag, das Häusliche verweisen: Besen mit Borsten aus Keramik, eine Trittleiter aus Bambus, ein beschmiertes Backblech, Hausschuhe, Einmachgläser. Eine altmodische Badewanne verkleidet mit grünen Schälerbsen. Als wollte Aschenputtel es der bösen Stiefmutter noch mal aufs Butterbrot schmieren, wie gut es gearbeitet hat.

Das Badezimmer, das bei ihrer in der DDR lebenden Großmutter, sei als Kind ihr Zufluchtsort gewesen, hat die Künstlerin einmal erzählt. Dorthin zog sie sich zurück, um den Diskussionen über die Mauer, die deutsch-deutsche Trennung, die Bedeutung von Freiheit zu entfliehen. Dann setzte sich auf die Toilette, auch wenn sie nicht musste, und schaute – eben auf die Wanne. Zeitgeschichte und Lebensgeschichte. Titel, die wie Geschichten gelesen werden können. Zum Beispiel solche über das Ichsein: „Ali, Alex, Sandra“, eine Zeichnung auf Teppich, eine Figur in der Pose von da Vincis Vitruvianischem Menschen im Wolkenpullover und mit Sonnenkopf. Wer sie wie ruft, das steht nicht dabei. Auch nicht, welches Ich mit welchem Spitznamen verknüpft ist.

Die Beschäftigung mit dem eigenen Selbst spiegelt die Künstlerin auch auf das Publikum zurück. Wortwörtlich, mit einem Spiegelkabinett, „Ihr bei mir“ lautet sein Titel. Na klar, da sind wir. Intensiv ist der Besuch bei ihr, irre viel knallt sie einem entgegen. Das Leben, in voller Wucht.

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