Ausstellung über den Ersten Weltkrieg: Der lange Krieg

Die Braunschweiger Ausstellung „1914 … Schrecklich kriegerische Zeiten“ soll mit erzählerischer Herangehensweise emotionale Zugänge ermöglichen.

Vier künstliche Soldaten und ein echter Sperrbock: Eine Station der Ausstellung "1914 … Schrecklich kriegerische Zeiten" beim Aufbau. Bild: dpa

BRAUNSCHWEIG taz | Eine unnatürlich wirkende Landschaft liegt im milden Licht des Frühjahres 2014. Ein friedliches Bild, möchte man meinen, würde der Titel des Fotos nicht offenbaren, dass es in der Umgebung des lothringischen Douaumont aufgenommen wurde: Was sich harmlos als grüne Wiese präsentiert, ist das sprichwörtliche Gras, das über den Schauplatz einer historischen Katastrophe gewachsen ist.

Das Foto zeigt die durch Granattrichter deformierte Landschaft im Gebiet eines der blutigsten Gefechtsfelder des Ersten Weltkrieges, der Abwehrschlacht bei Verdun. Hier kamen in zehn Monaten zwischen Februar und Dezember 1916 rund 317.000 Soldaten beider Seiten ums Leben. Würde man in der mitleidslosen Statistik militärischer Befehlshaber zählen, wären dies gut 1.050 Gefallene pro Tag, allein an diesem Abschnitt der Westfront. Sie wurden bedenkenlos in Kauf genommen – solange der Gegner ähnliche Verluste erlitt.

Das Foto aus Douaumont bildet in wandfüllendem Format den visuellen Endpunkt des Rundganges durch die Ausstellung „1914 … Schrecklich kriegerische Zeiten“ im Braunschweigischen Landesmuseum. Das Haus befasst sich wie 200 weitere deutsche Institutionen im Gedenkjahr mit dem Ersten Weltkrieg und seinem Ausbruch 1914. Die Braunschweiger Ausstellung zählt mit rund 690 Exponaten auf 950 Quadratmetern Fläche zu den Großprojekten in Deutschland, sie ist das Ergebnis zweijähriger Erarbeitung.

Da sich das Landesmuseum über einen regionalgeschichtlichen Auftrag definiert, greift man bewusst zu lokalen Quellen und folgt den braunschweigischen Regimentern. Etwa ein Drittel des gezeigten Materials stammt von privaten Leihgebern, die über einen Zeitungsaufruf erreicht wurden.

Die 13 persönlichen Konvolute aus Feldpostbriefen, Fotografien und Devotionalien werden größtenteils erstmals gezeigt. Das Kuratorenteam um Museumsdirektorin Heike Pöppelmann verfolgt das Konzept, die Familiengeschichten als Teil der Weltgeschichte zu verstehen. Diese erzählerische Herangehensweise soll auch emotionale Einblicke in die Kriegsjahre ermöglichen, sowohl aus Sicht der Frontsoldaten oder Kriegsgefangenen als auch der Zivilbevölkerung.

Damit bewegt sich die Ausstellung wissentlich auf schmalem Grat zwischen distanziert historischer Bewertung und verlängerter Zeitzeugenschaft. Eine in Teilen naturalistische Ausstellungsszenografie stützt diese Tendenz. Sie umfasst auch ein Diorama eines deutschen Schützengrabens. Darin sieht man eine Waffenansammlung – viel zu viele allerdings, als dass sie in dieser Dichte einsatzfähig gewesen wären.

Die Inszenierung soll dann doch nicht naturgetreu einen Kampfplatz wiedergeben. Etwas weiter stehen vier Soldaten unterschiedlicher Waffengattungen und Nationalitäten wie zur zwanglosen Pause um einen echten Sperrbock mit Maschendraht. Eine der Figurinen trägt den originalen Waffenrock Ernst Jüngers – etwa Personenkult?

Diesem missverständlichen Griff in die Simulationskiste begegnet man mit einer Fotoreproduktion im Hintergrund. Sie zeigt die Füße verschütteter toter Soldaten, extrem hochvergrößert, in gänzlich anderem Maßstab somit als die szenische Darstellung davor.

Weitere Kapitel widmet die Schau den Auswirkungen des Ersten Weltkrieges und der deutschen Kapitulation auf Politik und Gesellschaft bis nach 1945. Sowohl das kurze Glück einer Räterepublik nach Abdankung des Welfenherzogs, gar der Traum einer Loslösung des Freistaates Braunschweig vom Deutschen Reich werden mit lokalem Ausstellungsgut nachgezeichnet.

Erschwerend wirkte in dieser Zeit das vormalige Zensuswahlrecht im Herzogtum. Es hatte eine starke Sozialdemokratie parlamentarisch marginalisiert. Nun standen Bürgertum und reiche Bauernschaft, beide gleichermaßen reformunwillig, einer selbstbewussten Arbeiterschaft gegenüber, ohne dass es erprobte Konventionen zum gesellschaftlichen Konsens gab.

Eine weitere unrühmliche Rolle spielte der Freistaat Braunschweig dann 1932: die Koalitionsregierung unter Beteiligung der NSDAP berief Adolf Hitler auf eine Beamtenstelle und ermöglichte ihm die deutsche Staatsbürgerschaft. Der Aufstieg des Nationalsozialismus war hier, wie andernorts auch, flankiert von einer militarisierten jüngeren Generation. Sie war nicht an der Front gewesen, Veteranenbünde wie der Stahlhelm öffneten sich ihr aber ganz bewusst ab 1922.

Mit dem zeitlichen Bogen bis zur deutsch-französischen Aussöhnung nach 1945 folgt die Ausstellung einer Historiker-Sicht eines zweiten Dreißigjährigen Krieges von 1914 bis 1945. Und blendet dabei geopolitische Verwerfungen des Ersten Weltkriegs aus, die erst mit dem Ende des Kalten Krieges spürbar wurden: der friedliche Zerfall der 1918 geschaffenen Tschechoslowakei, die blutige Neuordnung des Balkans, Kriege aufgrund willkürlicher Grenzziehungen in Nahost oder ganz aktuell der Ukraine. Dazu gibt es immerhin Gedanken im Katalog, der als Ergänzung zur visuellen Exegese der Ausstellung unabdingbar ist.

„1914 … Schrecklich kriegerische Zeiten“: bis zum 25. Januar, Landesmuseum, Braunschweig
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