Ausstellung über Tiere und Gemüse: Tauchende Tomaten und ein Oktopus auf Reisen
Der japanische Künstler Shimabuku stellt dieser Tage in der Overbeck-Gesellschaft in Lübeck aus: Ein Aquarium mit schwimmendem Gemüse und drei Videos über einen Kraken, der eine Zugreise macht und die Welt über Wasser kennenlernt.
LÜBECK taz | Und danach? Was passiert dann mit den Tomaten? Acht Tomaten sind es, die der japanische Künstler Shimabuku in einem Bassin aus Plexiglas schwimmen lässt. Eine kleine Düse wirbelt das Wasser kaum sichtbar durcheinander. Merkwürdigerweise (oder auch nicht) finden sich die Tomaten immer wieder zu Vierergruppen zusammen: Die eine Gruppe schwimmt oben, die andere unten. Manchmal absolviert eine der Tomaten einen kecken Hüpfer, sondert sich ab, schwimmt fast davon - und kehrt doch bald wieder zurück.
Alle paar Tage werden die Tomaten ausgetauscht. Das gehört zum Konzept. Es geht dem Künstler schließlich nicht darum, auf die am Ende überaus hässliche Vergänglichkeit allen Lebens hinzuweisen, wie das in der Kunstwelt immer wieder Thema ist. Vielmehr zeigt er uns mit der Arbeit "Something that Floats/ Something that Sinks" etwas, was es per Definition eigentlich nicht gibt: ein bewegendes, leicht bewegtes Stillleben.
Aber die Tomaten! Wenn sie ausgetauscht werden, wenn sie Platz machen mussten für neue Artgenossen, sind sie dann immer noch Kunst, jetzt im Trocknen? Werden sie gegessen, verrührt zu Suppe oder in Scheiben geschnitten zum Mozzarella? Oder landen sie gar auf dem Kompost, im Müll, wie manches mit viel Mühe, Absicht und Hoffnung gemaltes Bild, das Kunst sein wollte?
Für diese leichtfüßige und zugleich hintergründige Art Kunst zu fertigen wie zu vermitteln, hat Shimabuku Michihiro dieser Tage den Overbeck-Preis für Bildenden Kunst der Lübecker "Gesellschaft zur Beförderung gemeinnütziger Tätigkeit" bekommen, nachdem in den vergangenen Jahren Michaël Borremans, Kerstin Kartscher und Monica Bonvicini bedacht wurden.
Vergeben wird der Preis aller drei Jahre; verbunden ist er mit einem Preisgeld von 5.000 Euro und eben der Realisierung einer Einzelausstellung im Pavillon der Overbeck-Gesellschaft am Ende der Altstadt von Lübeck. Shimabuku hat übrigens 2005/2006 an der Kunsthochschule in Braunschweig gelehrt und lebt und arbeitet derzeit in Berlin.
"Es kam uns darauf an, der Erwartung entgegen zu steuern, die Ausstellung eines japanischen Künstlers sei nun vor allem meditativ ausgerichtet - und deswegen sind uns drei Videoarbeiten Shimabukus sehr wichtig", sagt Marlis Behm, Leiterin der Overbeck-Gesellschaft.
Japan - das ist in der Vorstellung vieler Kulturinteressierter eben schnell der alte, alterslose Gärtner, der wortlos Tag für Tag den Kies im Garten zu eindrucksvollen Ornamenten harkt, die am nächsten Tage wieder verweht sind - und dann beginnt er von neuem, so ist halt das Leben. Oben, die Treppe rauf also, ist daher eine vergleichsweise lärmige, aber zugleich überaus poetische Arbeit zu sehen, die genau genommen aus jenen drei Videos besteht.
Das erste Video begleitet uns in die südjapanische Stadt Akashi, wo Shimabuku einem Fischer einen Oktopus abschwatzt, der - wenn wir es richtig sehen - leicht kopfschüttelnd von dannen schlurft. Denn der Künstler packt den Oktopus sehr behutsam in einen durchsichtigen Plastikbeutel: Der Oktopus soll etwas sehen von der Welt, die sich da über der Wasseroberfläche erstreckt. Und eingestiegen in den Zug nach Tokio, Sitzplätze sind frei, und wenn es etwas Sehenswertes zu sehen gibt, hievt der Künstler seinen Oktopus freundlich hoch aufs Fensterbrett.
Der Fudschijama zieht vorbei, der Gipfel schneebedeckt, von einem Wolkenkranz umgeben. Ob sich der Oktopus Japans heiligen Berg so vorgestellt hat, wenn er mit den Seinen unter Wasser darüber geplaudert hat?
Und weiter geht die Reise, auch der Tokyo-Tower ist eine ausführliche Betrachtung wert, bald schon ist der Bahnhof von Tokio erreicht, Menschengewühl umgibt das Paar und wenn sie schon den Tokyo-Tower von ferne gesehen haben, so schauen sie bald von dort oben aus nach unten auf die quirlige Stadt.
Später in der verwinkelten Altstadt, es ist Abend und es ist dunkel, zeigt Shimabuku den Passanten seinen Begleiter vor; erzählt, woher sie kommen, was sie für eine lange Reise hinter sich haben. Die Passanten lächeln. Und schauen. Und haben doch nur eines im Sinn: "Sollte man ihn nicht besser essen?"
Aber nicht doch! Denn es geht morgens noch auf den legendären Tokyoer Fischmarkt, wo der Oktopus Artgenossen trifft, denen ein ganz anderes Schicksal vorbestimmt zu sein scheint, als wieder zurück dorthin zu kehren, wo man her kommt.
Und so zeigen die letzten Einstellungen den Künstler zurück am Strand bei Akashi, wie er sich von seinem Gefährten verabschiedet, der nun etwas müde, aber dann doch entschlossen mittels seiner Krakenarme über den Sand ins Meer krabbelt, wobei ihn die Wellen sanft umspülen. Nicht nur der Oktopus hat jetzt etwas zu erzählen.
Und so passt es, dass sich zu diesem Film noch zwei weitere gesellen: Einer zeigt den Künstler, wie er Fischern in Italien beibringt, wie man bei ihm daheim in Japan Oktopoden fängt: indem man hübsche, längliche Keramikkrüge ins Meer hängt, denn in so einem Krug fühlt sich der Oktopus sehr, sehr heimisch.
Von seiner Tagesreise mit dem Oktopus nach Tokio wiederum hat er zwei Straßenmusikern in Sao Paulo erzählt, als er 2006 zur dortigen Biennale eingeladen wurde und sich fragte, ob das dortige Publikum seine Oktopusarbeit so ohne weiteres versteht.
Doch den beiden Männern mit ihren kräftigen Stimmen hat die Geschichte offensichtlich sehr gefallen, haben sie doch dazu einen Song getextet, den sie mittels eines leicht hektischen, aber sehr engagierten und vor allem in Portugiesisch gehaltenen Sprechgesanges nun auf der Straße vortragen, begleitet nur vom Schlagen auf zwei Tamburine.
"Ist so ein Oktopus eigentlich ein Fisch?", fragen sie zuletzt das Publikum, das sich wieder trollt, nachdem die Vorstellung zu Ende ist. Und Abspann - und der Film beginnt von vorn, während nebenan zugleich Shimabuku seinen Oktopus aus einem Fischernetz befreit, um ihm Japan zu zeigen, der Zug wartet schon.
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