Ausstellung über Coco Chanel: Goldader der modernen Mode
Erstmals ist eine zusammenhängende Präsentation von Coco Chanels Kleidern zu sehen. Die Ausstellung dürfte ein Publikumsmagnet werden.
Man weiß alles über sie: über ihre Wohnungen, ihre Gewohnheiten, ihre Launen, man weiß, dass ein Diener am Morgen das Treppenhaus der 31, rue Cambon, wo sie zeitlebens arbeitete und wohnte (geschlafen wurde gegenüber in einer kleinen Suite des Hotel Ritz), mit dem Duft von Chanel No. 5 einsprühen musste, bevor sie kam.
Man kennt ihre Liebhaber, ihr Geschäftsgebaren, ihre Versuche, in die Weltgeschichte einzugreifen. Sie gehört zu den Großen der Geschichte Frankreichs im 20. Jahrhundert – de Gaulle, Picasso, Chanel. Nur die Sachen selbst, denen sie ihr Leben widmete, die Kleider der Coco Chanel waren bislang nur vereinzelt zu sehen. Denn Chanels Werk ist verstreut in der ganzen Welt, in Museen und Privatsammlungen.
Eine zusammenhängende Präsentation ihrer Kleider und Accessoires, wie sie für Yves Saint Laurent die Fondation Pierre Bergé, bei Balenciaga sein Museum im Baskenland, für andere Designer große Retrospektiven zeigen, kam nie zustande. Nie konnte man sich sämtliche Entwicklungsphasen der Desigerin Coco Chanel, dieser Goldader der modernen Mode, von den Anfängen vor dem Ersten Weltkrieg bis in die 1960er Jahre vor Augen führen.
Nun macht das Pariser Museum Palais Galliera, ein prächtiges Palais, das eine italienische Herzogin namens Galliera Ende des 19. Jahrhunderts für ihre Kunstsammlung bauen ließ und das seit 1977 das Modemuseum der Stadt Paris beherbergt, in einer großen Schau Chanels Werk insgesamt zum ersten Mal zugänglich. Die Ausstellung „Gabriel Chanel. Manifeste de mode“ dürfte ein Publikumsmagnet werden, sofern Corona es zulässt.
„Gabrielle Chanel. Manifeste de mode“ läuft noch bis zum 14. März im Palais Galliera, Paris. Der englischsprachige Katalog (Thmes and Hudson) kostet 44,90 Euro. Zur Zeit ist die Ausstellung coronabedingt geschlossen.
Natürlich muss die Ausstellung, bevor es zur Sache geht, mythisch beginnen. Daher der zweiminütige Stummfilm zu Beginn: Paris, Champs-Élysées, ein kleines Mädchen, einfach gekleidet, steht an der Ampel, da kommt eine Dame mit Hut, in einem leichten Seidenkleid auf es zu und beugt sich zu ihm runter – Hut und Kleid von Chanel, das versteht sich von selbst.
Chanel begann als Modistin
Chanel begann als Modistin von Hüten, dann entstanden die ersten Kleider, für die Krankenschwestern von Deauville während des Ersten Weltkriegs, der Schnitt orientiert an deren Arbeitskleidung, und schließlich die Kleider, die wirklich einen Anfang setzen: Strandmode aus Biarritz, jenem Ferienort an der baskischen Atlantikküste. Chanel macht Mode aus Paris für reiche Käuferinnen der spanisch-baskischen Aristokratie und – aus Paris.
Im Zentrum steht jenes Kleid, in dem schon die ganze Programmatik Chanels, ihr „Manifest“ sichtbar wird, das man in Hunderten von Kreationen über ein halbes Jahrhundert hin wiederfinden kann: ein Strandkleid in naturweißem Jersey, gebunden mit einem Gürtel, getragen wie ein Cardigan, hinten ein Kragen,wie ihn Matrosenanzüge haben – La Marinière. Dass Coco 1916 überhaupt ein Kleid aus Jersey schneidert, der Stoff leicht, bequem und dehnbar, ist einigermaßen erstaunlich.
Der Direktor der Firma Rodier, die bislang nur Unterwäsche für Männer und Badeanzüge gemacht hatte, hielt sie für leicht verrückt, als ihre Riesenbestellung für Jersey einging. Auch die anderen Kleider dieser ersten Phase ähneln Damen-Outfits für Badmington und Tennis oder Golf.
Die eigentliche Sensation von La Marinière aber ist der Schnitt. Einer Laune der Kulturgeschichte folgend bezeichnet man die Grundform von Schnitten oft nach griechisch-lateinischen Buchstaben: X-Silhouette, A-, O- oder V-Silhouette. Was aber ist – vor dem Chanel-Label mit dem spiegelverkehrt ineinander geschobenen zweifachen C – der Chanel-Buchstabe? Es ist das I.
Seine designerische Formel ist von Anfang an da. I heißt schlicht: Schluss mit Betonung der Taille! In so vielen Chanel-Entwürfen noch bis nach dem Zweiten Weltkrieg sitzt eine nur leicht angedeutete Taille weit unten, eher an den Hüftknochen, zunächst wie Hemdkleider, die für die Zeit außerdem sensationell kurz sind und nur bis zur Wade gehen.
Das ganze Outfit hängt an den Schultern
Das ganze Outfit hängt an den Schultern. Ach, was musste die arme, weiche, verletzliche Taille schon alles aushalten in der Geschichte der europäischen Mode! Korsette, Korsagen, Krinolinen und später noch die X-Silhouette des New Look, der Zeit von Chanels Comeback in den 1950ern: Sie alle deklinieren Sexiness von der Taille aus – mit der naheliegenden Folge, den Busen zu betonen. Dagegen steht Chanels Formel: Befreiung der Taille. Die Schnitte, die daraus entstehen, sind simpel, elegant, auch ein wenig maskulin, la femme dandy.
Aus diesen Anfängen entsteht in Paris 1910 die erste Boutique, 1918 Umzug auf die legendäre 31, rue Cambon, wo Chanel bis zum Ende ihres Lebens bleibt. In vielen kleinen Schritten macht die Ausstellung den Übergang von den chemisierartigen Tageskleidern zu den bodenlangen, spektakulären Abendkleidern Chanels in den 1920er und 1930er Jahren sichtbar.
Viele sind durch Drapierungstechnik entstanden, das meiste an der Puppe oder direkt am Körper des Models gesteckt. Denn Chanel konnte keine Schnitte. Was herauskommt, ist reduzierte Eleganz, lange Abendroben, Chiffonkleider, Faltenröcke, die Stoffe oft mit Blumen-Prints und Stickereien (die sie von der Firma Kitmir einer russischen Fürstin machen ließ).
Chanels Welt vor dem Krieg: Glamour und große Industrie, eigene Firmen, wie die Stoffmanufaktur in Asnières-sur-Seine, Fabrikation von Parfums im großen Stil, immer nahe am Kino, bis hin zu Cocos Tick mit den Reichen. Als junges Mädchen war sie besessen von der Idee, einen Adligen zu heiraten.
Ihre Vorliebe für Pracht und Reichtum artikuliert sich in diesen Jahren vor allem über Accessoires. Zunächst ein Gürtel, ganz schlicht und, getreu ihrer Formel, etwas heruntergerutscht sitzend, an den Hüftknochen. Dann wird die Schnalle immer luxuriöser, mit Gold und schließlich Edelsteinen.
Ein ganzer Raum für den „Kometen“
Die Kleider selbst tragen keine Applikationen, aber sie entwirft Schmuck – das vielleicht unbekannteste Kapitel von Chanels Werk. Dem berühmten „Kometen“ von 1932, 18 sternförmig angeordnete Diamanten, gefasst in Platin, widmet die Ausstellung einen eigenen Raum.
Und auch dem legendären Chanel No. 5, jenem durchkomponierten, synthetischen Duft mit mysteriöser Ursprungsgeschichte im vorrevolutionären Russland, dem sich, wie ausführlich dokumentiert, auch Marilyn Monroe anvertraute, seit ihrem Geständnis auf die Frage: „Was tragen Sie im Bett?“ – „Nur einen Tropfen Chanel No. 5.“
Die Zeit des Weltkriegs ab 1939 und das von der Wehrmacht besetzte Paris bis 1944 sind in der Ausstellung weitgehend ausgespart. Die Zeit also, in der sie versuchte die Gebrüder Wertheimer, die Produzenten ihrer Parfüms, über die deutschen Besatzer aus dem Geschäft zu drängen, ihre Liaison mit dem Presse-Attaché und Geheimdienstler Hans Günther von Dincklage.
Ihre Idee, durch persönliche Beziehung Churchill zu einem Separatfrieden mit den Deutschen zu bewegen, und dann nach dem Krieg die Jahre der totalen Modepause in der Schweiz, aus der sie morphiumabhängig nach Paris zurückkehrte. Es kommt hier eben auf die Sachen an – Kleider, Entwürfe, Accessoires.
Erst 1954 war das, ein Comeback in eine Zeit, die alles bald ganz anders machte. Es ist die Zeit der beginnenden sexuellen Revolution, kurze Kleider, ärmellos, große Ausschnitte, Knie sichtbar. Aber Chanel hasste Knie und Ellenbogen. Sie sähen nur von vorne schön aus, von der Seite und von hinten hässlich. Chanel kontert mit dem Tweed-Kostüm: Le Tailleur Chanel.
Es ist geschlossen, der schwere Tweed-Stoff eine schwierige Technologie, früher in Heimarbeit oder in britischen Manufakturen gewebt, später mit verbessertem Know-how in Asnières. Chanel verändert den Tweed und macht ihn leichter, sodass er die Figur formt, sehr weich und bequem zu tragen ist: das glatte Gegenteil von New Look. Und treu folgt das Kostüm ihrer alten Formel I, die man auch englisch hören darf.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“