Ausstellung im ZKM Karlsruhe: Ins Herz des Klimawandels
Die Ausstellung „Critical Zones“ erzählt von einem radikal neuen Naturverständnis als Basis einer radikal neuen Politik.
Das Wasser säuselt, tropft, schlägt auf. Der Strengbach liegt in den Vogesen und gibt der dort angesiedelten hydrochemischen Forschungsstation (OHGE) ihren Namen. 165 Kilometer weiter nordwestlich ist der Fluss im Karlsruher Zentrum für Kunst und Medien (ZKM) in Form einer Hörstation präsent.
Seine Stimme wird zum Soundtrack für ein lange vorbereitetes Unternehmen, das die besten Kräfte aus Wissenschaft, Kultur und Medientechnologie bündelt. So viel lasst sich schon sagen über die Ausstellung „Critical Zones – Horizonte einer neuen Erdpolitik“, die coronabedingt erst aus der zentralen Installation, dem „Observatorium“ und der virtuellen Ausstellungsplattform, besteht.
Das Observatorium sei das Grundprinzip der gesamten Ausstellung, sagt Bettina Korintenberg vom KuratorInnen-Team der ZKM-Ausstellung. Observare heiße beobachten, aber auch für etwas Sorge tragen, etwas achten, etwas wertschätzen. Es gehe also nicht darum zu kontrollieren, also anthropozentrisch zu versuchen, die Natur umzuformen, sie sich untertan zu machen, was im Zeitalter des Anthropozän zum Klimawandel geführt habe. Vielmehr sollten Prozesse verstehbar werden, um einen neuen Umgang mit dem zu entwickeln, was wir gewohnt sind, Natur zu nennen.
Wir sollen uns daran gewöhnen, Wald, Feld, Wiese, See, Gebirge und Meer als interaktive Systeme sich bedingender Faktoren zu begreifen, die sich ständig verändern. Im „Observatorium“ solle Landschaft durch die Linse von Messinstrumenten dargestellt werden, sagt die Architekturhistorikerin Alexandra Arènes, wir alle müssten uns als Faktoren solcher Datenflüsse begreifen.
Die Raum gewordene Erzählung
Das ZKM hofft, dass die Ausstellung „Critical Zones. The Science and Politics of Landing on Earth“ im Juli eröffnen können. Der Katalog, herausgegeben von Bruno Latour und Peter Weibel, erscheint in englischer Sprache bei MIT Press und soll in rund vier Wochen im Buchhandel erhältlich sein.
Zusammen mit dem Architekten Soheil Hajmirbaba entwickelte sie auf der Basis des geologischen Profils des Freilichtlabors Strengbach eine Raum gewordene Erzählung dieses Vorzeigeprojekts französischer Umweltforschung. Metallleisten deuten das Erdniveau an, das sich bis ins nächste Stockwerk des Lichthofs schraubt. Wasserauffangbecken und mit Folien überzogene Holzgestelle stehen für die Messstationen, mit denen seit 1985 in Strengbach der Lifestatus der Flüsse, die Zusammensetzung des Niederschlags, der Vegetation und der Luft gemessen wird.
Wer die Ausstellung betritt, befindet sich quasi unter Erdniveau. Das Wasser gurgelt, auf schultafelgroße Platten sind Videos von der Forschungsstation gebeamt. Es sind jedoch nicht irgendwelche Aufnahmen. Sie stammen von Sonia Levy, einer auf die Zusammenarbeit mit NaturwissenschaftlerInnen spezialisierten Künstlerin, die 2016 bei dem von Bruno Latour konzipierten experimentellen Programm für politische Künste in Paris teilgenommen hat. Sie filmte die ForscherInnen bei der Kontrolle der Messgeräte im Schnee, umgeben vom sich dunkel abzeichnenden Baumbestand.
Auch die Geochemikerin Marie-Claire Pierret, Leiterin der OHGE, ist am virtuellen Eröffnungstag am vergangenen Freitag zugeschaltet. Sie betont, wie wichtig es gewesen sei, viel Zeit miteinander verbracht zu haben, viel miteinander gesprochen zu haben. Seit Langem bringt der Wissenschafts- und Techniksoziologe und Philosoph Bruno Latour Kultur- und Naturwissenschaftler ins Gespräch.
Erstmals trägt der Dialog auch nach außen hin sichtbar Früchte. Von der Umweltpolitik sei er enttäuscht, sagt Bruno Latour, deshalb habe er dieses Projekt in Karlsruhe gestartet. Uns fehle das Empfinden für die Dimensionen, in denen der Klimawandel die Grundlagen des Lebens auf der Erde bedrohe. Über das „Vehikel der Kunst“ wäre es vielleicht möglich aus unserem Zustand der Desorientierung „zu landen“, terrestrisch zu werden, sich endlich als Teil der Natur zu begreifen.
Eine neue imaginäre Kartografie der Kritischen Zone
In den vergangenen zwei Jahren erkundete er in einem Forschungsseminar mit Kunstwissenschaftlern und Medienkünstlerinnen an der Hochschule für Gestaltung Karlsruhe experimentell sprachliche, aber auch körperlich erfahrbare Wege für das große Umdenken. Alle während dieser Zeit entstandenen Projekte fließen in die Ausstellung, den Katalog oder die virtuelle Variante von „Critical Zones“ ein.
Mit Alexandra Arènes und dem Geophysiker Jérôme Gaillardet arbeitet er an einer neuen imaginären Kartografie, die das, was die von Wissenschaftlern so benannte „Kritische Zone“ ausmacht, sichtbar werden lässt. Die Kritische Zone umfasst den fragilen Bereich zwischen dem Grundwasser bis zu den Baumwipfeln, die menschliches Leben ermöglicht. Diese Schicht überzieht wie ein dünner Biofilm den Planeten. Der menschliche Lebensraum ist keine Kugel, sondern eine Haut, eine Membran aus interagierenden Organismen.
Für dieses Update der menschlichen Vorstellungskraft sucht Bruno Latour nach Bildern und Geschichten. Die Kreativen sollen sie liefern, etwa der erfolgreiche Forscher-Künstler Julian Charrière. In einem Berliner Depot warten seine monumentalen lithiumhaltigen Salzsäulen „Future Fossil Spaces“ aus Bolivien auf ihren Transport in die Karlsruher Ausstellung.
Auch optisch weniger spektakuläre Werke wie das Archiv des amerikanischen Ökokunstpioniers Peter Fend aus den 1970er Jahren sollen zum Umdenken motivieren. Dazu gesellt sich Caspar David Friedrichs düstere Vision „Felsenriff am Meeresstrand“ aus der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe. Vordergründig zeigt es eine Küstenszene, im Verständnis des Malers gibt es seine Empfindung im Angesicht der Landschaft wieder.
Politisches Statement und Feldversuch
Ohne den Geist von Strengbach und Bruno Latours verzweigtes Netzwerk würde sich „Critical Zones“ nicht von anderen Ausstellungen unterscheiden, in denen Künstler den Klimawandel thematisieren. So aber ist „Critical Zones“ zugleich politisches Statement und Feldversuch. Latours Lehrstunde des teilnehmenden Beobachtens verspricht die Krönung seines Lebenswerks werden.
Im Juli sollen voraussichtlich alle Kunstwerke coronabedingt verzögert im ZKM angekommen, hofft Peter Weibel. Er war derweil mit seinem Team in Karlsruhe nicht untätig. Über den Link zkm.de/de/critical-zones-digital kann man sich jetzt schon virtuell auf die Ausstellung einstimmen. Hinter getaggten Stichworten wie „Politics of Plants“, „Contamination“ oder „Metamorphosis“ verbergen sich datenbasierte 3-D-Videos von atmenden Bäumen, virtuell begehbare unterirdische Höhlen und die Einöde auf dem Mars.
Bislang sind zwölf, für die digitale Plattform zum Teil sogar erweiterte künstlerische Arbeiten zu sehen, weitere sollen folgen. Wer sich einloggt, gilt als „Entität“ unter anderen „Entitäten“, die Spuren hinterlässt, deren Klicks die Choreografie der interaktiven Seite verändert. Eingeblendete Botschaften erinnern jeden und jede daran, dass das Leben zu 99 Prozent aus Organismen besteht und dass im Erdreich von Strengbach Signale des Atlantiks nachweisbar sind.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!