Ausstellung im Berliner Kindl-Zentrum: Reisen als Gefühl
Die deutsch-iranische Künstlerin Shirana Shahbazi erweitert den Begriff künstlerischer Fotografie. Ihre Berliner Werkschau beeindruckt.
International bekannt wurde die 1974 in Teheran geborene Künstlerin Shirana Shahbazi mit „Goftare Nik/Good Words“ – einer fotografischen Serie, in der sie Alltagsszenen, Porträts und Landschaften aus dem Iran kombiniert und die verschiedenen Genres in Beziehung zueinander setzt.
In Deutschland aufgewachsen, lebt die Fotografin seit ihrem Studium 1997 in Zürich. 2006 nahm sie an der IV. Berlin Biennale teil, doch ist „First Things First“ ihre erste Werkschau in Berlin. In ihr werden 35 Arbeiten aus verschiedenen Werkgruppen der vergangenen zehn Jahre präsentiert. Anders als es der Titel vermuten lässt, überrascht die Ausstellung mit unterschiedlichen Formaten, Sujets und Techniken, die bewusst ohne Rang nebeneinander im Raum angeordnet sind.
Shabazis Fotografien, ihre Auswahl der Motive und deren Kombination sind eine kontinuierliche Auseinandersetzung über die Wahrnehmung von Bildern und die Grenzen des Mediums. „Fotografie ist präzise und unscharf zugleich“, beschreibt sie das Spannungsfeld ihrer künstlerischen Arbeit, in der sie Bildtypen und -genres miteinander kombiniert.
Stillleben treffen auf Alltags- und Reiseansichten
Wie kann sich beispielsweise etwas ganz Alltägliches über Format und Größe als Bild behaupten? In der Berliner Ausstellung treffen großformatige Stillleben auf geometrische Abstraktion, fotografische Inszenierungen auf flüchtige Alltags- und Reiseansichten. Verschiedene Bildmotive werden zu mehrteiligen Gruppen arrangiert, in deren Nebeneinander sich ein Gedankenraum auftut. Runde Mickey Mouse neben spitzer Palme. Farbflächen neben Op-Art.
Reisen als Gefühl, betont die Künstlerin, sei für sie wichtig, um eine Distanz herzustellen. Trotzdem wollte sie nach ihrer frühen Serie „Goftare Nik/Good Words“ nicht auf den Iran festgelegt werden. „Die Abstraktion war eine bewusste Entscheidung, um aus der thematischen Ecke herauszukommen“, erinnert sie sich.
Nun zeigt die Ausstellung im M2 des Kindl–Zentrum für zeitgenössische Kunst erstmalig auch privat entstandene Reisebilder als zweifarbige Lithografien. Darunter sind Schnappschüsse, die mit der Digitalkamera oder dem Handy während einer dreimonatigen Reise im Auto von Zürich nach Teheran entstanden sind. Eine ambulante Autoraststätte, die Meeresbrandungen, Wolken, ein Mädchen in einem Springbrunnen.
Die Arbeiten sind analog
Durch die Farbreduktion fordern die Bilder eine längere und genauere Auseinandersetzung ein. Die großen fotografischen Abzüge sind analoge Fotografien, vom Negativ geprintet. „Aber auch das ist kein Fundamentalismus“, kommentiert Shahbazi ihre Vorgehensweise. „Früher wurde thematisiert, dass ich Iranerin bin – heute, dass meine Arbeiten analog sind.“
Seit Oktober 2016 ist das privat finanzierte Berliner Kindl–Zentrum für zeitgenössische Kunst in der ehemaligen Kindl-Brauerei im Maschinen- und Kesselhaus mit jeweils drei unterschiedlichen Ausstellungsformaten vollständig für das Publikum geöffnet.
"First Things First" läuft bis zum 6. August im Maschinenhaus M" des Kindl-Zentrum für zeitgenössische Kunst, am Sudhaus 3, 12053 Berlin
2011 kauften die Kunstsammler Salome Girard und Burghard Varnolt den denkmalgeschützten Klinkerbau im einst ungeliebten Neuköllner Rollbergviertel. Das sakral aufragende Industriegebäude wurde von dem Ehepaar, das in der Schweizer Finanz- und Immobilienbranche tätig ist, hochwertig saniert und für den Ausstellungsbetrieb umgebaut.
Die künstlerische Leitung der privaten Institution hat der Schweizer Kunstkritiker und Kurator Andreas Fiedler übernommen. Während hinter dem Kunstzentrum schon neue Wohnkomplexe entstehen, blickt man auf der anderen Seite aus dem zweiten Stock des ehemaligen Maschinenhaus noch auf „Berlins größte Indoor-Kartbahn“.
Mehrfach belichtete dreidimensionale farbige Körper
In einem weiteren Raum der Ausstellung im ehemaligen Brauereigebäude zeigt Shirana Shabazi eine reduzierte Installation mit sechs geometrisch abstrakten Kompositionen in einer für den Betrachter besonderen Lichtsituation. Die flächig erscheinenden Studioaufnahmen entstanden durch Mehrfachbelichtung der dreidimensionalen, farbiger Körper.
Nun werden die gelben, roten und blauen Scheinwerfer so ausgerichtet, dass in ihrer Summe gebündelt weißes Licht entsteht. Und nur durch eine leichte Verschiebung zerfällt das Weiß an den Rändern wieder in seine Bestandteile und verweist mit minimaler Geste auf das Wesen der Fotografie.
„Es ist schwierig, nur mit Fotografie eine künstlerische Behauptung aufzustellen. Und ich finde, viele geben zu früh auf. In der Hinsicht war ich stur und dachte, man kann doch bei dem Medium Fotografie bleiben und so, als ob ich Malerin wäre, diesen Space behaupten. Das ist das, was ich handwerklich beherrsche.“ In ihrer Berliner Ausstellung ist es Shirana Shahbazi gelungen.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!