Ausstellung „München 72“: Training im Licht und im Schatten
Die Ausstellung „München 72 – Trainingsplatz einer Demokratie“ im Münchner Bayer-Forum nähert sich dem Trauma der Ermordung israelischer Sportler künstlerisch an.
Geschichte rostet nicht. So dachte man noch 1972 bei der Krupp AG. Unverkrampft warb das Unternehmen, das sich im Zweiten Weltkrieg vor allem seiner Kanonenrohre rühmte, für den „ewig jungen Stahl – Nirosta“. Was sich 1936 bewährt hatte, sollte auch jetzt noch Stand der Dinge sein: „Ob als eleganter Becher oder als formschönes Symbol, wie es die Fackeln der Olympischen Spiele 1936 in Berlin und 1972 in München darstellen.“
Einen Geschichts-Fauxpas leisteten sich auch die Organisatoren von München, indem sie den 1936 eingeführten Fackellauf auf dem Königsplatz, bis 1945 Aufmarschplatz der Nazis, enden ließen. Hinter den Kulissen arbeiteten zahlreiche durch ihre Mitarbeit an den Berliner Spielen „belastete Personen“ an der Organisation des sportlichen Großereignisses mit.
Otl Aicher muss das alles mächtig genervt haben. Der für das visuelle Erscheinungsbild der Sommerolympiade 1972 verantwortliche Designer propagierte ein „anderes Deutschland“. „Heiter – leicht – dynamisch – unpolitisch – unpathetisch – frei von Ideologie“ lautete seine Leitlinie für das Olympische Komitee. Schon vor vierzig Jahren war das Diktum einer unpolitischen Olympiade allerdings ein gewagtes, kontrafaktisches Statement. Das verdeutlicht die Ausstellung „München 72 – Trainingsplatz einer Demokratie“.
Die von der Nemetschek Stiftung und dem Verein „Gesicht Zeigen!“ getragene Schau im Münchner Bayer-Forum hat einen zivilgesellschaftlich orientierten Anspruch: Demokratie muss ständig trainiert werden, ebenso wie der an Sport interessierte Körper. Der implizite Aufruf zu mehr bürgerschaftlichem Engagement soll am Beispiel der zeitgeschichtlichen Verortung der Münchner Sommerspiele in den sechziger und siebziger Jahren veranschaulicht werden.
Design-Ikone
Doch der moralische Zeigefinger wird nicht als ästhetisches Mittel eingesetzt. Und es wird auch kein musealer Ansatz verfolgt: Originalobjekte sind in der Minderheit. Auch soll hier nichts historisch erklärt werden: Die Kuratorin Petra Schlie arbeitet in der Ausstellung ohne schriftliche Erläuterungen.
Die Vergabe der Olympiade im Internationalen Olympischen Komitee vor dem Hintergrund des Ost-West-Konflikts, das belastete Erbe der Olympischen Spiele von 1936, die 68er-Bewegung oder auch die Geiselnahme und Ermordung israelischer Sportler – diesen Themen wird nicht dokumentarisch, sondern mit künstlerischen Mitteln nachgegangen. Statt der überpräsenten Bilder der palästinensischen Attentäter in Strumpfmasken im olympischen Dorf, die das israelische Ringerteam als Geiseln nehmen, werden zwei vergrößerte Doppelseiten aus der TV-Zeitschrift Hörzu vom 5. und 6. September 1972 gezeigt. Ihre vorproduzierten Inhalte zeigen, wie die Spiele ohne den Terror weitergelaufen wären.
Ein anderes Objekt zitiert den berühmten Spruch des damaligen IOC-Präsidenten Avery Brundage „The Games Must Go On“ als violette Neonschrift vor einem Glitzerumhang: An dieser Stelle wird die durch das Attentat verlorene Idee der heiteren Spiele und die Berufung auf den olympischen Geist des Weitermachens gekonnt hinterfragt. Auch die 64 auf einer Wand akkurat angebrachten schwarzen Herrensocken, die die 64 männlichen Mitglieder des 65 Personen umfassenden Organisationskomitees abbilden, verweisen auf die klassische Rollenverteilung von Mann und Frau in der angeblich so modernen Bundesrepublik Anfang der Siebziger. Ein Foto der afroamerikanischen Leichtathleten Wayne Colett und Vincent Matthews, die bei der Siegerehrung nach ihrem 400-Meter-Lauf zum Klang der Nationalhymne demonstrativ den Rücken zeigen, beleuchtet eine andere Leerstelle jener Zeit. Der überdimensional auf dem Boden installierte Schriftzug „2 mal 36=72“, der von der DDR-Führung als Slogan gegen die Sommerolympiade benutzt wurde, wird leider nicht näher erläutert.
Trotzdem, für eine das Bewusstsein aufschließende Berührung mit den Licht- und Schattenseiten der Olympiade 1972 eignet sich die Ausstellung hervorragend. Wer mehr über politische, historische und kulturelle Kontexte erfahren will, kann auf die Monografie von Kay Schiller und Christopher Young zurückgreifen. Wer wissen will, warum man sich bürgerschaftlich engagieren sollte, muss auch weiterhin Zeitung lesen.
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