Ausstellung Kurt Schwitters: Dada Daddy in England
Was Kurt Schwitters’ Emigration für seine Kunst und sein Leben bedeutete, zeigt das hannoversche Sprengel Museum.
HANNOVER taz | Der Künstler Fred Uhlman war beeindruckt, als er im Oktober 1940 das Atelier von Kurt Schwitters betrat. „Das Zimmer stank“, notierte Uhlman. „Ein muffiger, säuerlicher, unbeschreiblicher Gestank, der von drei Dada-Plastiken ausging, die er aus Haferbrei gefertigt hatte, da an Gips nicht heranzukommen war. Der Haferbrei hatte Schimmel entwickelt, und die Skulpturen waren mit grünlichem Haar und bläulichen Exkrementen einer unbekannten Bakterienart bedeckt.“
Uhlman ließ sich dennoch von Schwitters porträtieren und zahlte Schwitters für das Bild fünf englische Pfund. Der eine Künstler unterstützte den anderen, aber Gips blieb trotzdem Mangelware: Uhlman und Schwitters waren interniert im Lager Hutchinson Camp auf der Isle of Man, gelegen in der Irischen See zwischen Irland und England.
Uhlman und Schwitters waren vor den Nationalsozialisten nach England geflohen und wurden dort zunächst als „enemy aliens“ behandelt. Dass Schwitters in diesem Lager überhaupt ein Atelier hatte, lag am Lagerkommandanten Captain H. O. Daniel: Der mochte die Kunst und tat, was er konnte.
Kurt Schwitters hat in den 17 Monaten seiner Internierung über 200 Werke geschaffen. Ein kleiner Teil davon ist derzeit in der Ausstellung „Schwitters in England“ zu sehen, die das hannoversche Sprengel-Museum in Kooperation mit der Tate Britain erarbeitet hat. Erst war die Ausstellung in London, nun macht sie Station in Hannover – der Stadt, in der Kurt Schwitters in den 1920er Jahren zu einem Protagonisten des Dadaismus und der abstrakten Kunst wurde, ehe die Nationalsozialisten seine Kunst als „entartet“ verfemten.
Aus Abfällen wird Kunst
Die Ausstellung zeigt Schwitters’ Arbeit geordnet nach den Orten, an denen er lebte: Nach seiner Zeit im Internierungslager ging er für drei Jahre nach London und schließlich für drei Jahre aufs Land in den Lake District. Immer schlug sich die jeweilige Umgebung in seiner Arbeit unmittelbar nieder: Auch in England arbeitete Schwitters mit den Abfällen des Alltags, arrangierte Zeitungsschnipsel, Buskarten, Stoffe, Steine, Knochen, Holzstücke und Fotos zu Collagen und Assemblagen.
Schwitters wollte mit seiner „Merz-Kunst“ Beziehungen schaffen – und zwar „am liebsten zwischen allen Dingen der Welt“. Seine Werke verfolgen keinen vordergründigen Darstellungszweck, gleichwohl erzählen sie über die verwendeten Materialien von den politischen und kulturellen Konnotationen ihren Zeit.
Außerdem erzählen sie von der Situation des Künstlers: Auffallend häufig verwendet Schwitters Bustickets, Briefumschläge und Paketscheine. Schwitters war viel unterwegs, um sich in der englischen Kunstszene zu etablieren. Er schrieb viele Briefe, um Kontakt zu halten zu Künstlern und Museumsdirektoren in anderen Ländern der Welt. Auch seiner Familie schrieb er Briefe, und seinem Sohn Ernst widmete er ganze Arbeiten: „for Ernst on 16.11.43 from Dada Daddy“ ist der Titel einer der Kleinskulpturen.
Überlebenskampf eines Künstlers
Den Kampf, als Künstler in England zu überleben, thematisiert die Ausstellung auch anhand von Dokumenten aus dem damaligen Kunstbetrieb. Sie zeigt den euphorischen Dankesbrief, den er dem Kritiker Herbert Read schickte, nachdem dieser einige freundliche Zeilen für einen Katalog verfasst hatte. Sie zeigt Ausstellungsplakate und die Porträts von reichen Leuten, die Schwitters malte, um Geld zu verdienen oder im Tausch eine Zahnbehandlung zu bekommen.
Schwitters’ Überlebenskampf steht nicht im Fokus der Ausstellung, im Fokus steht die These: Schwitters’ englische Schaffensphase hat mehr Aufmerksamkeit verdient, als ihr bisher zuteil wurde. Weil er seine Collage-Techniken vertieft, die skulpturale Arbeit verstärkt und die Neuauflage eines Merz-Baus in Angriff genommen hat.
Die Qualitätsfragen mögen für Schwitters-Experten zentral sein, für die Nicht-Experten ist die interessantere Geschichte die eines Künstlers, der versucht, sich zu etablieren in einem neuen Land, vor dem Hintergrund des Krieges und mit Werken einer vergleichsweise unpopulären Kunstrichtung.
Keine Chance für die "Ursonate"
Einer der ausgestellten Texte berichtet beispielsweise, wie Schwitters in London seine Ursonate aufführte. BBC-Mitarbeiter sollten den Vortrag aufnehmen, verließen ihn aber vorzeitig. Gezeigt wird außerdem ein Ablehnungsschreiben der Royal Academy of Arts, ein noch nicht einmal mit einer Anrede versehener Standardbrief, der Schwitters wissen lässt, dass seine Arbeiten auf der Sommerausstellung nicht gezeigt würden.
Schwitters hat diese Rückschläge in seiner Erzählung „On the Bench“ verarbeitet, ist weiter Bus gefahren in die Innenstadt, wo die Szene war, und ist irgendwann aufs Land gezogen. 1948, einen Tag nachdem ihm die britische Staatsbürgerschaft bewilligt worden war, stirbt er 60-Jährig an einem Lungenödem und einer Herzmuskelentzündung. Der neue Merz-Bau, den er in einer Scheune bauen wollte, blieb unvollendet. Zurück blieb eine Reliefwand, die 17 Jahre später aus der Scheune entfernt wurde. Auch von ihr sind Teile in Hannover zu sehen.
■ Bis 25. August 2013, Sprengel Museum Hannover. Katalog (Hatje Cantz Verlag) 29 Euro
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