piwik no script img

Wie unheimlich er doch ist

AUSSTELLUNG Leise und subtil zeigt die Wiener Albertina den „Körper als Protest“ ganz ohne Aktionismus, ohne aufgeritztes Fleisch, Blut oder kämpferische Posen

VON ANDREA ROEDIG

Bei manchen Ausstellungen fragt man sich, wie sie zu ihrem Titel kommen. Unter „Körper als Protest“ lässt sich vieles vorstellen, aber ganz sicher nicht das, was die Wiener Albertina derzeit in einer kleinen, aber recht feinen Schau präsentiert. Kein aufgeritztes Fleisch ist zu sehen, keine kämpferischen Posen, kaum mithilfe von Körpereinsatz ausgeführte politische Aktion. Die Ausstellung versteht sich bewusst als Kontrapunkt zum in Österreich immer noch allgegenwärtigen Wiener Aktionismus, der in den Blutorgien und Ritualspielen Hermann Nitschs seinen populärsten Ausdruck fand.

Die Albertina-Schau geht es ruhiger an. Im Zentrum stehen die Arbeiten des wenig bekannten Fotografen John Coplans (1920–2003), etliche davon aus den Beständen der Albertina. Der gebürtige Brite emigrierte früh in die USA und war dort lange Jahre Herausgeber des Magazins Artforum und leitete das Akron Art Museum in Ohio. Coplans war also bestens vertraut mit der Kunstszene und Theorie, bevor er im Alter von 64 Jahren begann, seinen eigenen, alternden Körper zu fotografieren. Glasklar und von extremer Schärfe sind die großen Polaroid-Aufnahmen, jede Pore des nicht besonders schönen Körpers ist sichtbar. Coplans dreht und verschränkt diesen Torso wie verwundert zu Posen, die komisch, lächerlich wirken und langsam, wie in Zeitlupe, ins Unheimliche kippen. Niemals zeigt er sein Gesicht.

An einen Faun erinnert der stark behaarte Leib, der trotz des nackten Genitals oft weiblich wirkt in seinem Posieren. Die Geschlechter- und vielleicht auch Gattungsgrenzen verwischen. In dem wohl bekanntesten Bild „Back with Arms above“ (1984) sieht man Coplans Rücken als einen viereckig, leicht abgerundeten Fleischklotz, über dem, von hinten emporgehoben, zwei Fäuste schweben wie die Fühler einer Schnecke. Die groß aufgenommenen verschränkten Finger („Interlocking Fingers No. 17“, 2000), könnten auch archaische Gewächse am Meeresgrund sein. Man muss den Körper nicht verfremden, man muss ihn nur etwas biegen nur nah genug herangehen, um zu sehen, wie fremd er ist, weil er lebt. Coplans hat sein fotografisches Körperprotokoll bis kurz vor seinem Tod fortgeführt. Die späten Aufnahmen sind noch nicht öffentlich zu sehen.

Der alternde Leib verformt sich selbst zur Groteske, der junge Körper dagegen muss gezupft, gezogen und verbogen werden, um zum Mittel künstlerischen Ausdrucks zu taugen, so scheint es. In der Fotoserie „Studies for Holograms“ von 1970 reißt Bruce Nauman große Grimassen, formt seinen Mund zum Donald-Duck-Schnabel, dehnt sich die Mundwinkel extrem weit nach außen, in der Videoperformance „Pinch Neck“ zupft und formt er experimentell, aber nicht besonders aufregend an seinem Bein herum. Auch Robert Mapplethorpes schöne Männerrücken wirken im Kontext der Ausstellung und im Kontrast zu Coplans eher banal – drastisch ist die Fotografie „Lou, NYC, 1978“, auf der sich das Model den kleinen Finger in die Eichelspitze seines erigierten Penis schiebt.

Radikaler aber ist das Altern. Mit sehr klaren und doch warmen Bildern zeichnet die japanische Künstlerin Miyako Ishiuchi in der Fotoserie „1906 to the Skin“ (1991–1993) das Porträt eines 87-jährigen Tänzers, Kazuo Ono. Dünn wie Seidenpapier ist die haarlose Haut seines Körpers, der männlich oder weiblich sein könnte. Die Füße sind geschunden. Diese Fotografien sind nicht drastisch, sie zeigen nur ruhig und zart den Körper als eine Landschaft des Verfalls, der Austrocknung. Erschreckend vom Tod gezeichnet ist auch die Arbeit der Konzeptkünstlerin Ketty La Rocca, die 1976 mit 38 Jahren an einem Hirntumor starb. In die Röntgenaufnahme ihres Kopfes montierte sie an die Stelle des Hirns fotografisch eine geballte Faust – „you“, „you“, „you“ ist an den inneren Rand der Schädeldecke ins Bild geschrieben, wie Schreie, die nicht ausbrechen können. Vielleicht protestieren sie.

Der Körper als Protest wirkt auf den ersten Blick recht unspektakulär und beliebig. Beim genaueren Hinsehen zeigen sich aber ästhetische Korrespondenzen, die Ausstellung kreiert ihre ganz eigene Atmosphäre. Unheimlich an ihr ist, das kaum ein Gesicht sehen ist auf den Bildern und, mit Ausnahme einer Videoperformance von Hannah Wilke, gar keine Augen. Als gehöre der Kopf nicht zum Körper, als ginge es hier eben nur um den Torso, die Masse, das Fleisch.

Dass den Körper so explizit auszustellen eine Kritik an gängigen idealen Schönheitsvorstellungen sei, wie der Wandtext etwas lahm kommentiert, ist wirklich zu wenig gesagt. Vielmehr zeigt die Ausstellung den unheimlichen Körper. Er sträubt sich, er sieht anders aus, er ist anders und er entwickelt sich anders, als wir ihn gerne hätten. Der Mensch protestiert nicht mit dem Körper, sondern gegen ihn. Das Spiel wird er nicht gewinnen.

■  „Körper als Protest“, Albertina Wien, bis zum 2. 12. 2012

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen