Außergewöhnliches Berliner Food-Museum: Was man alles essen kann
Eine kulinarische Entdeckung: Im frisch eröffneten „Disgusting Food Museum“ kann man überprüfen, was man beim Essen eklig findet.
Stattdessen gibt es für Museumsbesucher aktuell ein wenig Ekel für daheim. Man bekommt etwa getrocknete Heimchen und Mehlwürmer, Milbenkäse und isländischen Stinke-Hai mit auf den Weg, nicht gerade Grundnahrungsmittel in Deutschland.
Doch wenn man die Esswaren tatsächlich probiert, passiert eigentlich nichts. Die Insekten kann man so gut wegsnacken wie Chips, der Milbenkäse geht auch. Und der fermentierte Hai schmeckt halt ziemlich intensiv nach Fisch. Was zuerst wie eine Mutprobe erscheint, entpuppt sich als Tasting von irgendwie interessant schmeckenden Nahrungsmitteln. Und die Kotztüte kann getrost zugefaltet bleiben.
Etwas probieren, das eklig aussieht oder riecht und von dem man denkt, dass es deswegen auch nur eklig schmecken kann, um dann festzustellen, dass es so schlimm gar nicht ist – das gehört mit zu den Lerneffekten, die Martin Völker mit seinem Museum erreichen möchte. „Alles, was einem fremd erscheint, hält man erst einmal für ekelhaft. Wir wollen, dass man sich auf das Fremde, das ekelhaft erscheinen könnte, einlässt“, sagt er. Es gehe darum, durch Kultur und Milieu geprägte „kulinarische Scheuklappen zu erkennen. Und sie vielleicht abzulegen.“
Nicht nur Schockwirkung
Das Disgusting Food Museum in der Berliner Schützenstraße 70 in der Nähe vom Checkpoint Charlie ist geöffnet von Freitag bis Dienstag, 11–19 Uhr.
Wer nun also denkt, das „Disgusting Food Museum“, das mit seinen 90 Exponaten eine Weltreise durch ungewöhnlich erscheinende Essgewohnheiten – in China essen sie Hunde! – diverser Länder und Kulturen anbietet, sei vor allem ein auf Schockwirkung ausgelegtes Horrorkabinett, der irrt. Es ist eher eine klug und mit Bedacht angelegte Bildungseinrichtung, ein ethnologisches Museum zum Thema Essen, das versucht, den eigenen Geschmack und das kulturell antrainierte Gefühl für Ekel neu zu justieren.
„Es soll darum gehen, die Nahrungsmittelvielfalt breiter kennenzulernen“, sagt Völker. Vermeiden möchte er dabei einen Wettbewerb der Art: was schmeckt am schlimmsten. Oder in welchem Land werden die schlimmsten Dinge gegesen. Eher geht es darum, auch mal zu hinterfragen, warum man selbst Dinge isst, die vielleicht noch um einiges ekliger sein mögen als das so kurios anmutende Zeug, das anderswo geliebt wird.
Und zu welchen Ressentiments beispielsweise das Klischee führen kann, dass die Chinesen angeblich alles essen, was sich bewegt, hat gerade mal wieder die Coronapandemie gezeigt. Covid-19 sei durch den Verzehr einer Fledermaussuppe vom Tier auf den Menschen übertragen worden, lautet ein hartnäckiges Gerücht. Was nachweislich nicht stimmt. Die Chinesen aber irgendwie als kulinarisch und möglicherweise auch sonst unterentwickelt erscheinen lässt.
Ekel vor der Stopfleber
Wenn man nun aber in einem der Filme, die in dem Museum in Mitte gleich um die Ecke vom Checkpoint Charlie gezeigt werden, sieht, wie die auch in Deutschland als Spezialität gehandelte Gänsestopfleber entsteht, fragt man sich schon, wie man diese nicht ziemlich eklig finden kann. Eklig zudem im Sinne von: So etwas unter geradezu barbarisch erscheinenden Umständen Entstandenes sollte es eigentlich gar nicht geben.
Wie den Gänsen über einen Trichter eine Mastpampe in den Magen gepumpt wird, damit diese eine übergroße und kranke Leber entwickeln, die dann in die Delikatessenabteilungen verschickt wird, das erscheint wirklich ziemlich schockierend. „Man sieht bei uns auch das, was man normalerweise an der Theke ausblendet. Ist man bereit, für seinen Genuss solche Bilder in Kauf zu nehmen? Diese Fragen sind für uns entscheidend“, sagt Völker dazu. Und dass die gezeigten Bilder noch harmlos seien. Die Zwangsmästung von Gänsen könne noch um ein Vielfaches unschöner und drastischer gezeigt werden als in seinem Museum.
Dort bekommt man aber schon eine ganze Menge Dinge gezeigt, die einem aus den unterschiedlichsten Gründen den Magen umdrehen könnten bei dem Gedanken, diese auch probieren zu müssen. Chinesischer Reiswein, in dem ein paar Tage alte Babymäuse ertränkt wurden, etwa: sieht wirklich nicht so lecker aus.
Waldig-angenehmer Bibergeil
Die Macher des „Disgusting Food Museum“ im schwedischen Malmö hatten Martin Völker, der nun den Berliner Ableger leitet, aufgetragen, sich selbst durch das ausgestellte Nahrungsangebot zu testen. Der spezielle chinesische Reiswein habe zwar einen starken “Benzingeschmack“, sei aber trinkbar, sagt er ganz trocken. Zum schwedischen Bibergeil, einem hochprozentigen Schnaps, für den die Analdrüse eines Bibers in Alkohol eingelegt wurde, fällt ihm ein, der schmecke „waldig und sehr angenehm“.
Um zu demonstrieren, dass Bibergeil aber gar kein abartiges Getränk ausschließlich für Schweden ist, wird dieser auch in einer deutschen Variante im Museum präsentiert. Eine Manufaktur in Brandenburg stellt den eigentümlichen Schnaps ebenfalls her.
Angebrütete Eier. Hahnenkämme. Madenkäse aus Sardinien, bei dem man live beobachten kann, wie das Getier gerade die geronnene Milch geschmacklich weiter verfeinert. Bullenhoden. Und Bullenpenis. Alles da bei dieser kulinarischen Weltreise für die Augen – und bei der Vitrine mit den verschiedenen Sorten von Stinkekäsen auch für die Nase.
Völker wird beim Rundgang durch das Museum nicht müde, weiter zu betonen, dass die Exponate nicht dazu dienen sollen, andere Essgewohnheiten noch stärker zu exotisieren. Im Gegenteil. „Der Blick soll nicht auf andere, sondern auf uns selbst gerichtet werden“, sagt er. Klar, es möge für uns komisch wirken, dass in manchen Gegenden der Welt gerne Bullenpenisse gegessen werden. Aber dann weist er auf das sogenannte Berliner Schnitzel hin, das für Leute mit kleinem Geldbeutel erfunden wurde. Für dieses werden Kuheuter in Scheiben geschnitten, gekocht und paniert.
Die Frage, was nun ekliger zum Mittagessen ist, kann sich jetzt jeder und jede selbst beantworten: Bullenpenis oder panierter Kuheuter?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen