: Auslieferung von Dusco Tadić gefordert
Internationales Kriegsverbrechertribunal in Den Haag fällt erste Entscheidung / Bonn will Fall Tadić an UNO-Gericht überleiten, hat jedoch noch keine Rechtsgrundlage dafür ■ Von Andreas Zumach
Genf (taz) – In seiner ersten öffentlichen Verhandlung hat das internationale Kriegsverbrechertribunal in Den Haag gestern beschlossen, Deutschland um die Auslieferung des in München inhaftierten Serben Dusco Tadić zu ersuchen. Der Vertreter Deutschlands erklärte in Den Haag, Bonn habe keine Einwände, den Fall an das UNO-Gericht überzuleiten. Am Montag abend hatte das Tribunal Anklage gegen den Serben Dragan Nikolic, Ex-Kommandant des Lagers Susica in Ostbosnien, erhoben. Ihm wirft Chefankläger Richard Goldstone mehrere Morde sowie die Inhaftierung und Mißhandlung von mindestens 500 muslimischen Zivilisten vor.
Zur Frage, unter welchen Bedingungen Tadić ausgeliefert werden kann, äußerte sich ein Mitarbeiter des Bonner Justizministeriums gestern gegenüber der taz. Weil im deutschen Auslieferungsgesetz bislang nur die Überstellung an andere Staaten, nicht jedoch an supranationale Institutionen wie das Tribunal vorgesehen sei, müsse durch eine Gesetzesergänzung erst noch die notwendige Rechtsgrundlage geschaffen werden. Dieser Darstellung des Justizministeriums wird in mit Auslieferungsfragen befaßten Kreisen der deutschen Justiz allerdings widersprochen. Dort heißt es, seit dem Beitritt Deutschlands zur Genozid- Konvention der UNO sei die Rechtsgrundlage für Auslieferungen an supranationale Institutionen gegeben, die – wie das Haager Tribunal – Verstöße gegen diese Konvention untersuchen.
Eine Gesetzesvorlage zur Ergänzung des Auslieferungsgesetzes wurde vom Bundeskabinett erst letzte Woche verabschiedet und dies obwohl das Tribunal bereits im November 1992 durch Beschluß des Sicherheitsrates etabliert worden war. Seitdem war absehbar, daß eines Tages auch Auslieferungsbegehren an Deutschland gestellt würden. Zumal seit Beginn des Krieges im Sommer 1991 mehr BürgerInnen aus Bosnien, Kroatien und Serbien in Deutschland leben, als in irgendeinem anderen Land.
Im Justizministerium hieß es, die Gesetzesvorlage habe erst fertiggestellt werden können, nachdem sich das Tribunal seine eigenen Verfahrensregeln gegeben hatte. Dies geschah allerdings bereits im Februar dieses Jahres. Das Ministerium will den Gesetzentwurf am 25. November im Bundesrat behandeln lassen. Eine Verabschiedung durch den Bundestag könne Anfang 1995 erfolgen.
Am Montag hatte die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe Anklage gegen Tadić erhoben. Sie ist überzeugt, den Beschuldigten wegen mehreren Morden verurteilen zu können. Goldstone hofft jedoch, im Fall Tadić neben Morden und Folterungen auch „ethnische Säuberungen“ sowie Befehlstrukturen bis hin zum bosnischen Serbenführer Radovan Karadžić nachweisen zu können.
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