piwik no script img

SERBEN WERFEN MILOŠEVIĆ SEINE NIEDERLAGEN, NICHT SEINE KRIEGE VORAuslieferung gegen Investitionen

Den Haag oder nicht Den Haag. Das ist die Frage in Serbien. So recht mag das für das ehemalige Jugoslawien und Ruanda zuständige Kriegsverbrechertribunal niemand – allen voran der jugoslawische Bundespräsident, Vojislav Koštunica. Für ihn ist das Tribunal ein Instrument der US-Administration, das viel mit den eigenen Interessen, aber wenig mit denen Serbiens im Sinn hat. Zwar ist Koštunica der weitaus populärste Politiker in Serbien, doch für das Tribunal ist er als Präsident nicht zuständig. Er kann eine Zusammenarbeit mit dem Tribunal und die Auslieferung der Angeklagten höchstens erschweren, jedoch nicht verhindern.

In dieser umstrittenen Frage wird sich wohl eher Koštunicas großer politischer Rivale, Serbiens pragmatischer Ministerpräsident Zoran Djindjič, durchsetzen. Djindjič lässt sich auf keine moralischen Diskussionen ein. Sein Standpunkt: Wenn Serbien den Forderungen des Tribunals nicht entgegenkommt, wird das den Anschluss des Landes an Europa und die bitter nötigen Auslandsinvestitionen bedrohen. Serbien kann es sich nicht leisten, erneut der ganzen Welt zu trotzen. Die meisten Serben werfen Milošević nur seine Niederlagen vor. Nicht die Kriege, die er in Kroatien und Bosnien angezettelt hat. Die Mehrheit macht ihn für die eigene Misere verantwortlich – nicht für die Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die er und sein Regime begangen haben. Milošević sollte vor ein serbisches Gericht gestellt werden, angeklagt der Verbrechen, die er an den Bürgern Serbiens begangen hat. Der Kriegsherr Milošević genoss jedoch die Unterstützung bei seinen Feldzügen.

Es ist eine weit verbreitete Meinung, dass sich die bedrohten Serben in Kroatien und Bosnien nur verteidigt hätten. Sollte Milošević und seiner Gefolgschaft wegen der Kriegsverbrechen der Prozess gemacht werden, viele würden dies als kollektive Schuldzuweisung wahrnehmen. Dass das Kriegsverbrechertribunal unter dem Gesichtspunkt einer individuellen Verantwortung handelt, können viele nicht verstehen – weil sie sich keine im Namen Serbiens begangene Kriegsverbrechen eingestehen wollen. ANDREJ IVANJI

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen