Ausländerpolitik: Integrationsgipfel ohne Migranten?
Die großen Verbände türkischstämmiger Einwanderer erwägen, aus dem Treffen auszusteigen. Grund ist die Verschärfung des Zuwanderungsgesetzes.
Es hätte noch einmal ein so schönes Bild werden können: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihre Integrationsbeauftragte Maria Böhmer (CDU) umringt von freundlich lächelnden MigrantInnen. Doch aus dem Foto, das Verständnis und Übereinstimmung suggerieren soll, dürfte nichts werden. Die großen Verbände der türkischstämmigen Einwanderer erwägen, aus dem Integrationsgipfel der Bundesregierung auszusteigen.
"Wir diskutieren ernsthaft, ob eine Teilnahme noch Sinn macht", sagte Kenan Kolat, der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland (tgd) der taz. "Wir denken über den Ausstieg nach", sagte auch Bekir Alboga, der Dialogbeauftragte der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (Ditib). Ditib, die eng mit dem türkischen Staat verbandelt ist, ist mit 870 Moscheevereinen der größte Dachverband der Muslime in Deutschland. Die TGD ist die größte nichtreligiöse Organisation der türkischen Einwanderer hierzulande.
Hintergrund des Konflikts ist die Verschärfung des Zuwanderungsgesetzes, die der Bundestag vor drei Wochen mit den Stimmen der großen Koalition verabschiedet hat. "Diese Verschärfung steht im krassen Gegensatz zu den Zielen des Integrationgipfels", sagte Kolat. "Sie schürt die Vorurteile gegenüber den Türken in Deutschland und der Türkei."
Durch die Gesetzesreform werden unter anderem der Nachzug von Ehepartnern und die Einbürgerung von Jugendlichen erschwert. "Jede Reform des Zuwanderungsgesetzes ist zuungunsten der Türken ausgefallen", sagte auch Alboga. Das sei schon bei der doppelten Staatsbürgerschaft so gewesen und jetzt auch beim Familiennachzug und der Einbürgerung.
Der Integrationsgipfel, zu dem Merkel im vergangenen Sommer erstmals Migranten, Bundesminister, Vertreter von Ländern, Kommunen, Verbänden und der Wissenschaft ins Kanzleramt lud, tagt am Donnerstag kommender Woche zum zweiten Mal. Dort will die Kanzlerin den nationalen Integrationsplan vorstellen, der Grundlage für die künftige Politik sein soll.
Gegen den Gipfel haben die türkischen Verbände nichts. Ganz im Gegenteil. Kolat wertet es als Erfolg, dass die Bundesregierung "auf gleicher Augenhöhe" mit den Vertretern der Migranten spricht, und lobt die sachliche Diskussion in den Arbeitsgruppen. Auch Alboga betont, er wolle die Tür nicht zuschlagen. "Eigentlich war das ein guter Beginn." Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung äußerte sich gestern nur sehr knapp zu den Überlegungen der Deutschtürken. "Wir sind im Gespräch", ließ Böhmer der taz ausrichten.
Ganz überraschend kommt der Protest der türkischen Verbände nicht. Bereits im März haben sich Kolat und Alboga in einem offenen Brief an die Bundeskanzlerin gewandt. Darin fordern sie Merkel auf, "ihre Richtlinienkompetenz zu nutzen, damit nicht im Windschatten des Integrationsgipfels ausländerrechtliche Verschärfungen durchgesetzt werden". Unterschrieben haben den Brief VertreterInnen von 21 Migrantenorganisationen - fast alle, die am Integrationsgipfel beteiligt sind. Mit möglichst vielen von ihnen wollen Ditib und die TGD nun das weitere Vorgehen beraten. Die Entscheidung soll am Wochenende fallen.
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