Ausländerhatz in Italien: Weihnachten nur für Weiße
Bis Heiligabend will der Bürgermeister des 7.000-Einwohner-Orts Coccaglio alle "Illegalen" entfernen. Die Aktion heißt "White Christmas".
Weiße Weihnacht - was das heißen kann, macht in Italien ein Bürgermeister der rechtspopulistischen Lega Nord vor. Franco Claretti, erster Bürger des 7.000-Einwohner-Orts Coccaglio in der norditalienischen Provinz Brescia, wählte den Titel "White Christmas" offiziell für eine von ihm angeordnete Säuberungsaktion gegen "illegale" Ausländer.
Wie erst jetzt in der italienischen Öffentlichkeit bekannt wurde, schickte Claretti vom 25. Oktober an die Stadtpolizisten mit der Weisung aus, in den zwei Monaten bis Weihnachten per Hausbesuch sämtliche in der Kommune lebende Ausländer zu kontrollieren, deren Aufenthaltserlaubnis in den letzten Wochen erloschen ist oder kurz vor dem Ablaufen steht. Die Beamten haben gut zu tun: Coccaglio erlebte im letzten Jahrzehnt ein starken Zuwachs der Immigrantenbevölkerung. Zählten die Einwanderer 1998 noch bloß etwa 180 Personen, so stellen sie jetzt mit rund 1.600 gut ein Fünftel der Bevölkerung. So wichtig sie für die örtliche Ökonomie sind, so prekär ist - nicht zuletzt dank der von der Lega Nord in der Regierung in Rom mitverantworteten Verschärfung des Ausländerrechts - ihr Status: Aufenthaltsgenehmigungen werden bloß auf ein Jahr erteilt und sind an den Besitz eines Arbeitsplatzes gebunden. Wer den Job verliert, hat keine Chance auf Verlängerung. Das heißt, nach der von der Regierung Berlusconi ebenfalls beschlossenen Einführung des Tatbestandes "illegale Einwanderung", dass er von einem Tag zum anderen zum Kriminellen wird.
Auf diese "Kriminellen" macht jetzt die Lega-Nord-Kommunalverwaltung in Coccaglio Hatz. Claudio Abiendi, örtlicher Dezernent für Sicherheit, findet den Titel "White Christmas" völlig in Ordnung. Weihnachten sei schließlich ein Fest "der christlichen Tradition, ein Fest unserer Identität, und nicht ein Fest der Aufnahme". Bei 150 bis Ende letzter Woche durchgeführten Kontrollen habe sich ergeben, dass 50 Prozent der Überprüften irregulär in Italien lebten.
Die eigenwillige Interpretation der Weihnachtsbotschaft stößt auf heftige Kritik. Die beiden Gewerkschaftsbünde CGIL und CISL sprachen rundheraus von einer "faschistischen" Maßnahme. Kurosh Danesh, CGIL-Koordinator für Immigrationsfragen, sah sich "an den Hall der Stiefel der faschistischen Soldaten im Ghetto Roms, als sie auf der Hatz nach jüdischen Bürgern waren", erinnert. Anna Finocchiaro, Fraktionschefin der Demokraten im Senat, erklärte: "Die Lega hat eine fremdenfeindliche, rassistische, gewalttätige und rückwärtsgewandte Vorstellung von unserem Land".
Indirekte Unterstützung erhielt die Linke jetzt ausgerechnet von ganz rechts: Gianfranco Fini, der aus den Reihen der postfaschistischen Alleanza Nazionale stammende und zum Berlusconi-Lager gehörende Präsident des Abgeordnetenhauses, erklärte am Samstag gegenüber Jugendlichen aus Einwandererfamilien bündig, wer sie als "andersartig" abstempeln wolle, sei ein "Arschloch". Mehr noch: Fini forderte auch, dass den in Italien aufgewachsenen Einwandererkindern die Staatsbürgerschaft und ihren Eltern das kommunale Wahlrecht gewährt werde.
Die Säuberungsaktion von Coccaglio wird mittlerweile in diversen Lega-regierten Kommunen kopiert. Lega-Chef Umberto Bossi: "Wir bleiben dabei: Die Ausländer müssen nach Hause. Es gibt ja noch nicht mal für uns genug Arbeitsplätze."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Verkehrsvorbild in den USA
Ein Tempolimit ist möglich, zeigt New York City
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich