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Ausgehen und rumstehen von Ruth Lang FuentesVon der Platte für die Platte

Foto: taz

Da, ganz weit draußen, wo Hohenschönhausen an die Felder grenzt. Da soll es heute Punkrock geben. „Kommt vorbei“, hatte J. gesagt, selbst Punker und Gitarrist einer legendären Underground-Band, die sich leider viel zu früh aufgelöst hatte.

So richtigen Punk soll es also hier heute geben: unkommerziell, antifaschistisch, gegen Staat und Patriarchat, von der Platte für die Platte. „Krass“, sagst du, als wir an der Endstation aussteigen und nach oben blicken. Es ist dunkel, nur einzelne Plattenbaufenster leuchten in der Nacht. „Der blaue Rand von Berlin“, sage ich. Und denke: umso geiler, dass hier heute Abend dagegengehalten wird. Die Straßen bis zum selbstverwalteten Jugendzentrum, wo das Ganze stattfindet, sind leer. Keine Kneipen, keine Menschen, nur Platte, Platte, Platte. Vierzig Wohneinheiten pro Block zählst du. Ganz am Ende der Straße: ein Licht, Stimmen, der Sound verzerrter Gitarren.

Wir sind natürlich zu spät. PeneTrans – die neue Berliner FLINTA* Punkband (heißt in dem Fall Punk von einer Frau, einer nicht-binären und einer trans Person) – ist schon heftig bei der Sache. Etwa vierzig Leute springen, tanzen, pogen zu den Powerchords. Sie füllen den Raum, der etwa die Größe eines Proberaums hat. Die Luft riecht muffig, die Wände sind voll geklebt mit Stickern, Plakaten, antifaschistischen Parolen. Die Hauptklamottenfarbe im Publikum ist Schwarz. Und am liebsten schreien sie alle zusammen: Scheiß Bullen – wir hassen euch!

Balladen kann PeneTrans (nach zweimaligem Stimmen auf der Bühne) übrigens auch: Liebeslied 161 besingt die Liebe im Schwarzen Block mit einem Refrain, dessen Melodie sehr stark nach „Les Champs-Élysées“ klingt. Sind halt doch kleine Romantiker:innen, die Antifaleute, denke ich und freue mich darüber.

„Wir sind da!“, schreie ich zu dir rüber. Du drückst mir ein (lauwarmes) Bier in die Hand und hebst deine zur Faust, als es darum geht, Solidarität mit den Grünheide-Aktivisten gegen Tesla zu bekunden.

Nach einer kurzen Pause, einem Gespräch über die Unfähigkeit der Bundeswehr auf der Terrasse im Schatten der Platte und einem heimlichen Schluck Jägerbombmixe aus einer PET-Flasche („wir dürfen das im Jugendzentrum eigentlich nicht trinken“, raunt J.) geht es weiter. Und zwar mit feinstem Oi! aus Hohenschönhausen. ROi!m- und StrOi!-FahrzOi!ge heißen die Punker:innen. Sie singen von Dosenbier, Spielplatzmobs und natürlich gegen Cops. Und eines hassen sie voller Inbrunst – und die kriegen sie auch von uns zurück: Elektroroller. „Fahr doch Fahrrad, du faules Yuppieschwein“, schreit der ganze Raum. Kurzer Einschub: die Sängerin hatte tatsächlich am Tag zuvor Geburtstag, also gibt es noch Kuchen und Kerzen zum Ausblasen. Sie wird wohl ganze 1.312 Jahre alt… Als sich dann einer der Techniker auch noch als ehemaliger Drummer der Band herausstellt und spontan mitspielt, ist die Band nicht mehr zu halten. Ein Drumstick fliegt durch die Luft, Schweiß tropft von den Haaren.

Der Sprung von der aktivistisch und teilweise ironischen Oi!ness zur Potsdamer Band Mackermassaker gelingt nicht jedem. Denn es wird dann noch mal ernst im Jugendzentrum. Es geht um sexualisierte Gewalt, um Kritik am Patriarchat, Feminismus und viel Wut, die die beiden Musikerinnen ins Mikro schreien und in die Drums einhämmern. Die Fanbase feiert sie.

Später spielen wir noch eine Runde Kicker, trinken ein zweites lauwarmes Bier, hängen mit J. auf den durchgesessenen Sofas rum und ich frage mich, wie mein Leben ausgesehen hätte, wenn ich damals in der Kleinstadt auch so ein linkes Jugendzentrum in meiner Nähe gehabt hätte.

Irgendwann nehmen wir die Bahn zurück ins gentrifizierte Zentrum Berlins. Wo man zwar richtig gekühltes Bier bekommt, aber schon lange keinen Punk mehr.

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