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Ausgehen und rumstehen von Andreas HartmannEtwas Würde bewahren (aber gewinnen ist schöner)

Neulich bei den French Open habe ich ein paar Ausschnitte einer Partie der sogenannten „Legends“ gesehen. Tennis-Rentner wie Mats Wilander und drei andere ehemalige Größen dieses Sports traten im Doppel gegeneinander an. Die Bewegungen und die Schläge, alles sah aus wie in Zeitlupe.

Da kam mir der ernüchternde Gedanke, dass Wilander so viel älter als ich auch wieder nicht ist. Und verhältnismäßg fit und ohne Ansatz einer Wampe ist er auch. Mit großer Sicherheit würde ich in einem Match gegen ihn kein Spiel holen. Würde ich mich selbst via TV auf dem Court sehen, würde ich also wahrscheinlich annehmen, da krieche eine Schnecke hin und her.

Ich hatte am Wochenende bei einem Punktspiel selbst meinen ersten Auftritt im gehobenen Seniorensegment. Nur dass das dann niemand „Legends“ nannte, sondern nüchtern „Herren 50“. Matches anderer in dieser Alterskategorie nicht in Roland Garros, sondern auf der extrem schmucklosen Anlage des TC Friedrichshain anzusehen tut teilweise richtig weh. Fast jeder hat eine Bandage am Knie, klagt über Rücken, und es kommt nicht selten vor, dass einer einfach aufgibt, weil er sich nach einem zu ambitionierten Antritt eine Zerrung eingefangen hat.

Es hat aber auch etwas Gutes, bei den Senioren mitzutun. Mats Wilander hat in Paris zwischendurch mal Liegestützen auf dem Platz gemacht, was signalisierte: Spaß ist ihm inzwischen wichtiger, als zu gewinnen. Und als ich bei meinem Match einen Winner an die Linie setzte, den mein Gegner mit einem „Aus“-Ruf quittierte, woraufhin ich mich schon wie üblich wahnsinnig aufregen wollte, revidierte der ohne Murren kurzerhand seine Entscheidung. Die Verbissenheit lässt im Alter eben doch etwas nach. Motzen, fluchen, Gegner beschimpfen, all das gibt es weniger. Sogar einen Smalltalk ließ ich mir von meinem Gegenüber während des Matches aufzwingen und hatte dabei nicht einmal das Gefühl, gerade Opfer eines perfiden Psychospielchens zu werden.

Gerade erst gab es im Magazin der Süddeutschen Zeitung einen ziemlich feuilletonistisch geratenen Text über die angebliche Schönheit der einhändigen Rückhand. Inklusive etwas weit hergeholt wirkenden Thesen, dass schon Jesus eine Art Pate dieser Schlagtechnik gewesen sein soll. Als Betrachter von Tennismatches kann ich mit der Behauptung, dass so eine elegante einhändige Rückhand von Roger Federer ästhetisch mehr hergibt als die beidhändige Powerrückhand, die sich im Profibereich weitghehend als Goldstandard durchgesetzt hat, schon ein wenig anfangen. Als Spieler ist es mir jedoch völlig egal, wie gut oder weniger gut meine Schläge aussehen. Hauptsache, ich mache den Punkt und gewinne das Match.

Vielleicht ändert sich diese Geisteshaltung aber jetzt, je länger ich im Opa-Segment des Tennissports dabei bin. Irgendwann sage ich dann vielleicht nach einer Niederlage: Ach, völlig egal, wenigstens sah dieser eine Volley doch bestimmt wahnsinnig toll aus.

Über meine (einhändige) Rückhand werde ich das bestimmt nie sagen können. Dafür ist sie einfach zu schlecht und wird sicherlich nie einen Schönheitspreis gewinnen. Doch immerhin konnte ich mich bei meinem Match am Wochenende wenigstens auf die Vorhand verlassen. Zumindest im ersten Satz. Im zweiten landete dann streckenweise keine mehr im gegnerischen Feld. Ich war schon wieder kurz davor, es vielleicht mal damit zu versuchen, den Schläger zu werfen. Besann mich aber wieder.

Ich spiele ja jetzt bei den Senioren, hier geht es um nichts mehr außer darum, etwas Würde zu bewahren. Am Ende war ich still und heimlich, aber verdammt froh, dieses zähe Match doch noch gewonnen zu haben. Meine letzte gurkige Rückhand war unerreichbar für meinen Gegner.

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