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Ausgehen und rumstehen von Anastasia ZejneliDie Mutter wird es wohl nicht hassen?

Foto: Felix Schmale

Es ist einer der letzten warmen Abende des Jahres. Also rein in die verrauchte Kneipe. Das Ziel: Das Kumpelnest3000 in Schöneberg. Enrico Ippolito liest am Abend aus seinem neuen Roman „Modesta“.

Zwischen Blumengestecken und Blumentapeten, Spiegeln und Discokugeln sitzen zwei Dutzend Gäste, größenteils Freun­d*in­nen des Autors. Es wirkt angenehm familiär. Vielleicht auch, weil ich selbst meine Familie in Form meiner Mutter dabei habe.

„Wenn es eine Pause gibt und es uns nicht gefällt, können wir dann gehen?“, fragt sie und nimmt einen skeptischen Schluck aus ihrer mehr weiß als gelben Apfelschorle. Wir sitzen nebeneinander in der letzten Reihe.

Zuvor hatte sie sich bereits mit dem Verlagsfotografen angefreundet, der uns, dafür dass wir sonst niemanden kannten, einmal zu oft ablichtete. „Überall wo du hingehst machst du Freunde“, sagte meine alte Mitbewohnerin einmal zu meiner Mutter. Als genervte 15-Jähirger fand ich das oft anstrengend, mittlerweile ist es eines der Dinge, die ich an ihr schätze.

Während der Autor aus seinem zweiten Roman liest, einer 12-Stunden Abhandlung, in der der schwule Protagonist Blumen kauft und auf eine Party geht, sich über Verlust Gedanken macht und Gespenster sieht, beobachte ich meine Mutter und frage mich, ob es ihr hier wohl gefällt. Was macht man mit den Eltern, wenn sie zu Besuch kommen? Wenn sie das Brandenburger Tor gesehen, die Currywurst gegessen und über die Spree geschippert sind?

Sinthujan Varatharajah postet relativ regelmäßig, wenn die eigenen Eltern zu Besuch sind und beschloss für sich, das eigenen Programm durchzuziehen. Was einem selbst gefällt, werden die Eltern wohl nicht hassen?

Meine Mutter muss das Experiment mit mir wagen. Während die beiden Ver­le­ge­r*in­nen und ihr Autor abwechselnd rauchen und laut über die Angst vor Autofiktion nachdenken, blicke ich zu meiner Mutter. Was sie wohl denkt? Stört sie der ganze Rauch?

Eine Stunde und eine Cola später, will sie nach Hause. Die Lesung ist vorbei, ich hake mich bei ihr unter, während wir die Straßenseite wechseln. „Interessant“, fand sie den Abend, doch eine Frage bleibt: Verdienen die Leute genug Geld, „wenn man so sitzt, raucht, trinkt und schreibt?“, fragt sie mich. „Das müssen wir wohl noch ausprobieren“, antworte ich und sie lacht.

Knapp 24 Stunden später stehen wir in dem dunklen Treppenhaus eines ehemaligen Kaufhauses an der Karl-Marx-Straße in Neukölln. Wir spielten bereits Karten im Treptower Park, aßen Pizza am Körnerpark und wie immer Baklava an der Sonnenallee. Nun schleppen wir uns gemeinsam mit mindestens 100 weiteren Leuten, die Stufen zur Ausstellung des 20. Jahrgangs der Ostkreuzschule hoch.

Wir müssen immer wieder warten, meine Mutter reagiert gelassen auf die Menschenmengen. Auf dem Weg hoch, bot uns eine Mitarbeiterin den Aufzug an, meine Mutter lachte nur und bog zu den Treppen ab.

In der stickigen und lauten Halle angekommen, drängeln wir uns durch die Masse an vorwiegend gut angezogenen Gen-Z-lern. Stolze Familien machen Fotos mit ihren erfolgreichen Kindern.

Verdienen die Leute genug Geld, „wenn man so sitzt, raucht, trinkt und schreibt?“

Es ist ein Sehen und Gesehen-werden, die Ausstellung nur Nebenrolle im Geschehen. Meine Mutter sammelte Postkarten ihrer Favoriten. Arbeiten über ein Dorf in Syrien und Schwarzem Leben in der DDR. ‚Als Erinnerung an das Treppensteigen‘ sagt sie.

Genug Kulturprogramm beschließen wir am Samstag und gehen ein letztes Mal im Plötzensee baden, lesen unsere Bücher und sonnen uns. Das Wochenende ein Experiment, es scheint geglückt zu sein? Am Sonntag sitzt meine Mutter wieder im Zug und fragt, wie denn der Mann nochmal hieß von der Kneipe. Sie will zu Hause angeben, mit ihren neuen Kontakten.

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