Ausgebuddeltes Denkmal in Berlin: Hello, Lenin!
Fast ein Vierteljahrhundert war er unter dem Waldboden vergraben. Am Donnerstag ist der Kopf der Lenin-Statue nun auferstanden.
Endlich, Lenin liegt. Eine Viertelstunde lang haben die Arbeiter den Teleskoparm des überdimensionalen Gabelstaplers ausgerichtet, um den steinernen Kopf des Revolutionärs von der Ladefläche des Lkw zu heben, dann spannen sich die Gurte, und der 4-Tonnen-Brocken schwebt langsam zu Boden. Leise ächzen die Euro-Paletten, als das Haupt auf sie niedersinkt.
An die hundert Journalisten, Fotografen, Kameraleute haben sich am Donnerstag im Halbkreis um Wladimir Iljitsch Uljanow aufgebaut, fast ehrfurchtsvoll halten sie Abstand, während Gerhard Hanke, Kulturstadtrat des Berliner Bezirks Spandau, stolz wie ein Großwildjäger daneben posiert. Nein, dass der, der da liegt, ein großer Mann gewesen sei, das wolle er nicht sagen, verkündet er, aber eine große Figur, das sei er auf jeden Fall. Man weiß nicht recht, ob Hanke das im übertragenen oder im Wortsinn meint, jedenfalls reicht Lenins später Ruhm, um auch auf ihn, den CDU-Bezirkspolitiker, ein wenig Licht zu werfen.
Dass der Koloss fast ein Vierteljahrhundert unter Waldboden zugebracht hat, sieht man ihm nicht an. Im linken Nasenloch, das jetzt, wo der Kopf auf der Seite liegt, nach oben zeigt, klebt noch etwas Sand, und ein Stück der Ohrmuschel fehlt. Der Rest aber ist völlig intakt, die Nase, der markante Kinnbart, der sich den Fotografen entgegenstreckt. „Den haben wir nicht gereinigt“, sagt ein Mann von der Bergungsfirma, da sind wir bloß einmal mit dem Besen drüber.“ 25 Jahre, für ukrainischen Granit ein Wimpernschlag.
Die Sonne strahlt über Lenins neuem Zuhause. Ein irgendwie ganz unberlinerisches Idyll ist die Spandauer Zitadelle, eine Renaissancefestung an der Havel, umgeben von seerosenbewachsenen Wassergräben, mit gewaltigen Mauern aus Feldsteinen und roten Ziegeln. Hier ist Lenin ab dem kommenden Frühjahr Teil einer Dauerausstellung, die „verschwundene“ Berliner Denkmäler präsentiert – von den Preußenkönigen bis zur Wende.
Der Köpenicker Forst
Der Kontrast zum ursprünglichen Standort des großen Russen könnte kaum größer sein: Von 1970 bis 1991 stand er im Ostberliner Bezirk Friedrichshain auf einem nach ihm benannten Platz, 19 Meter hoch, im Rücken ein Gebirge aus Plattenbauten. Der Lenin vom Leninplatz war das monumentalste aller Ostberliner Monumente, er sollte dem Begründer der UdSSR einen unverrückbaren Ort in der Hauptstadt der DDR geben und die deutsch-sowjetischen Bande stärken: „Freund des deutschen Volkes“ hieß das von Nikolai Tomski geschaffene Denkmal ganz offiziell. Eingeweiht wurde es am 19. April 1970, kurz vor Lenins 100. Geburtstag, durch Walter Ulbricht, vor rund 200.000 Menschen.
Dass Lenins „Wiederauferstehung“, wie Stadtrat Hanke es formuliert, im Jahr 2015 von einem gewaltigen medialen Interesse begleitet wird, ist auch ein Nachhall des Aufruhrs, den die Schleifung des Denkmals im Herbst 91 mit sich brachte. Vor allem der CDU im schwarz-roten Senat unter Eberhard Diepgen war der kommunistische Gigant ein Ärgernis, sie betrieb erfolgreich seine Streichung von der Denkmalliste und setzte den Abbruch gegen erbitterte Proteste von Teilen der Bevölkerung durch. In den Tagen um den 9. November, genau zwei Jahre nach dem Mauerfall, begann die Zerlegung in mehr als hundert Segmente, wobei sich mehrere Firmen fast die Zähne daran ausbissen.
Dass man Lenin nicht zu Kies schredderte, sondern bei Nacht und Nebel in einer ehemaligen Sandgrube im Köpenicker Forst vergrub, war ein beredtes Zeichen für die Ratlosigkeit, wie das Land, das da zusammenwachsen sollte, mit seiner jüngsten Geschichte umgehen sollte – ein Kapitel, das wohl immer noch nicht abgeschlossen ist, auch wenn heute niemand mehr einen haushohen Helden der Arbeiterklasse aufstellen würde. Dem ehemaligen Leninplatz, heute „Platz der Vereinten Nationen“, ist jedenfalls jegliches Pathos abhandengekommen. Das später errichtete Brunnen-Ensemble aus Natursteinen passt ästhetisch eher auf den Vorplatz einer Kreissparkasse.
Die Zauneidechsen
Auch der heutige rot-schwarze Senat hat offensichtlich noch Probleme mit der nicht ganz vergangenen Vergangenheit. Es hat lange gedauert, bis Andrea Theißen, Leiterin des Spandauer Kulturamts und der künftigen Denkmal-Ausstellung, die Genehmigung zur Grabung bekam. Erst hieß es, der genaue Ort sei nicht bekannt – was nicht stimmte –, dann galt es, die Zauneidechsen-Population auf dem Lenin-Hügel zu schützen. Alles in allem kostete die Bergung 72.000 Euro, sagt Theißen am Donnerstag. Sie nimmt es inzwischen mit Humor, dass Lenin das gesamte Interesse an ihrem Museumskonzept auf sich zieht. „Ein bisschen befremdlich ist es schon“, sagt sie, „aber es ist eben das symbolträchtigste Stück, wenn es uns darum geht, den Umgang mit politischen Denkmälern zu zeigen.“
Für die 28 Skulpturen der „Siegesallee“, die Wilhelm II. um das Jahr 1900 im Großen Tiergarten aufstellen ließ, interessiert sich am Donnerstag kaum jemand. Sie stehen in Planen gehüllt hinter einem Bauzaun und warten auf die Fertigstellung der Ausstellungsräume. Das Skulpturenensemble, das märkische Herrscher verschiedener Epochen darstellt und von den Berlinern seinerzeit als „die Puppen“ verspottet wurde, bildet den größten Teil der Sammlung.
Hinzu kommen Gefallenen-Mahnmale der Weimarer Republik, ein „Zehnkämpfer“ von Arno Breker, der nach 1945 lange die Alexander Baracks der britischen Alliierten in Spandau zierte, und die nach der Wende entfernten Stelen des 1986 enthüllten Thälmann-Denkmals in Prenzlauer Berg. Im Gegensatz zu Lenin reckt Thälmann heute noch, graffitibeschmiert, die Faust in die Höhe. Die Stelen mussten weichen, weil auf ihnen nicht nur Zitate des einstigen KPD-Vorsitzenden, sondern auch Erich Honeckers prangten.
Im Frühjahr wird es so weit sein: Dann eröffnet die Ausstellung „Enthüllt. Berlin und seine Denkmäler“ auf der Spandauer Zitadelle, und wer Lenin damals eine Träne nachgeweint hat, kann ihm nun so nah sein wie nie zuvor: Das barrierefreie Konzept richtet sich auch an Blinde und Sehbehinderte, und wer will, darf Lenin beherzt in den Kinnbart fassen.
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