Ausblick: Krise im Standby-Modus
Gewerkschaften blicken sorgenvoll ins neue Jahr. DGB plant Gerechtigkeitsgipfel. Ver.di- Landesschef fordert Vermögenssteuer. Bei sozialer Spaltung drohten Unruhen
Es ist mehr eine rhetorische Einladung - denn ein Termin steht doch nicht fest. Doch sie ist ernst gemeint: Der DGB-Hamburg lädt im neuen Jahr zu einem "Gerechtigkeitsgipfel" ein. "Wir suchen noch Partner, diesen Gipfel mit uns gemeinsam zu gestalten", sagt der neue DGB-Chef Uwe Grund. "Es haben sich auch schon einige gemeldet."
Denn trotz des überdurchschnittlichen Potenzials befindet sich Hamburg nach Auffassung von Uwe Grund auf einer "gefährlichen schiefen Ebene". Das normale Berufs- und Familienleben werde mit wachsenden Risiken belastet; es schwänden die Chancen der Menschen am Rande der Gesellschaft.
"Soziale Bedrohung und Perspektivlosigkeit beruhen nicht auf Einbildung, sondern auf Erfahrungen", findet Grund. Die Wirtschaftskrise treffe auf eine Stadtpolitik, die soziale Verantwortung seit Jahren als Belastung ansehe und Gerechtigkeit klein schreibe. Niemand, der politische Verantwortung trage, könne zufrieden und gelassen auf das neue Jahr blicken.
Er registriere einen dramatischen Widerspruch zwischen beschönigender Wohlstands- und Wachstumsrhetorik hier, beschämender Abstiegs- und Ausgrenzungsrealität dort, sagt Grund. "Wie viele andere erkenne ich dieses Problem und wie alle anderen kenne ich keine einfache Lösung."
Deshalb werde er - im europäischen Jahr gegen Armut und Ausgrenzung - einen Hamburger Gerechtigkeitsgipfel organisieren, und zwar "nicht als einmalige Veranstaltung", sondern als Diskussions- und Arbeitsprozess, wie Grund betont. Damit möchte der DGB-Chef das "Bewusstsein für die Risiken von Armut und Ausgrenzung stärken und die Aufmerksamkeit für die vielfältigen Ursachen und Auswirkungen schärfen".
Auch Ver.di- Landeschef Wolfgang Rose blickt besorgt auf das neue Jahr. "Die Krise ist noch im Standby-Modus", formuliert er. Der Einbruch bei Produktion, Handel, Hafen und Dienstleistungen werde groß sein. Die wichtigsten Gründe dafür seien die kaum gezügelte Kasinomentalität an den Weltfinanzmärkten und die massiv gesunkene Nachfrage". Die habe mit dem Niedriglohnniveau in Deutschland und dem wachsenden Dumpinglohnsektor zu tun: "Die Leute haben immer weniger Geld zum Ausgeben."
Rose wiederholte seine Forderung nach einer Reichensteuer in der Stadt der Millionäre. Anstatt die großen Finanz- und Immobilienvermögen zu schonen, die keine Nachfrage auslösten, müsse der Senat endlich dort das Geld abholen und dann mit Investitionen und Kaufkraft die Binnennachfrage stärken.
Rose warnt: "Wer heute bei der wachsenden sozialen Spaltung zuguckt, riskiert morgen soziale und politische Unruhen. Wer munter streicht und kürzt, sich oben aber keine Vermögenssteuer traut, gefährdet den Zusammenhalt unserer Stadt."
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