piwik no script img

■ Aus polnischer SichtVanity Fairständnis

Fairständnis soll Verständnis + Fairness bedeuten und steht für eine Campagne der Landesregierungen und des Verfassungsschutzes für das friedliche Zusammenleben mit Ausländern in Deutschland. Wenn man aber den Umgang mit der offiziellen und öffentlichen Sprache in Deutschland und die offiziellen rechtlichen Entscheidungen deutscher Behörden beobachtet, kann man auch diese Campagne als vanity fair verstehen.

Der Bundespräsident spricht in einem Interview (für die ARD) von „unserem großen Nachbarn Rußland“ und wiederholt damit eine Wendung aus unzähligen öffentlichen Diskussionen und Aufsätzen. Dabei kommt hierzulande niemand auf die Idee, „unser Nachbar Portugal“ oder sogar „unser Nachbar Norwegen“ zu sagen, obwohl zwischen Deutschland und Portugal auch nur zwei, zwischen Deutschland und Norwegen sogar nur ein Land liegt. Polen und die Ukraine, Weißrußland und Litauen sind Protektorate, Kondominate der beiden „großen Nachbarn“ – gestern und heute und für alle Ewigkeit, Amen.

Wie oft habe ich im deutschen Fernsehen vom „polnischen Konzentrationslager Auschwitz“ gehört, als sei diese Einrichtung den Polen zu verdanken; es ist nicht nur eine Frage der façon de parler – schließlich liegt Oswiecim zweifellos in Polen. Es geht um etwas für die Polen Grundsätzliches – keine deutsche Zeitung würde „vom österreichischen KZ Mauthausen“ sprechen. Deutsche Richter begründen eine Verschärfung der Strafe für polnische Ladendiebe mit dem Satz: „Es muß klar sein, daß es nicht geht, aus Polen hierherzukommen und zu klauen. Deutschland ist kein Selbstbedienungsladen.“

Sicher, nur was hat es mit dem Strafmaß zu tun, woher man stammt? Polen müssen – anders als Einheimische – grundsätzlich auch für Lappalien in der Untersuchungshaft auf ihre mündliche Verhandlung warten. Das gilt für alle, die keinen festen Wohnsitz in Deutschland haben und ist auch verständlich.

Warum aber muß ein Staatsanwalt in der Anklageschrift gegen Autodiebe schreiben: „Das [die Tatsache, daß man bestimmte Automarken sehr einfach klauen kann] hat sich in polnischen Kreisen herumgesprochen“, anstatt „in den entsprechenden Kreisen in Polen“ oder ähnlich zu formulieren? Warum bekommen lettische SS-Veteranen eine deutsche Rente (das Vielfache des ortsüblichen Einkommens) und sogar (1993!) Eiserne Kreuze, ohne daß geprüft wird, ob sie Kriegsverbrecher waren? Und warum bekommen viele Opfer von Naziverbrechen aufgrund des von Stalin erzwungenen Verzichts keine Entschädigung (dieser Verzicht galt für die DDR, erstreckte sich jedoch völkerrechtlich auf ganz Deutschland)?

Warum müssen andere Opfer in langwierigen Verfahren nachweisen, daß ihnen Unrecht geschah? Dies alles fördert weder den Abbau von Klischees noch Fairness und Verständnis im Umgang miteinander. Einander besser zu verstehen setzt nämlich voraus, daß man weiß, was man selbst sagt und tut. Piotr Olszówka

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen