Aus für Brandenburger Museum: Der Lügenbold muss fliehen
Wie der dadaistische Lebenskünstler Reinhard Zabka mit seinem Lügenmuseum in einem Brandenburger Dorf scheiterte - und jetzt wieder Obdach in Berlin sucht.
Richard von Gigantikow, der erfundene Hausherr, lebt nicht mehr hier. Niemand braut noch Lügentee im Gutshaus, und im verwilderten Garten wird das Grab der Emma von Hohenbüssow, Legehenne und nominelle Museumsdirektorin, bald nicht mehr zu erkennen sein. Fontanes Wanderschuh ist verpackt, Willy Brandts Kinderzimmer abtransportiert. All die schönen Lügen, all die Vitrinen und Maschinen, die wundersamen Installationen und Gerätschaften sind eingelagert. Das Lügenmuseums in Gantikow bei Kyritz gibt es nicht mehr.
Das Lügenmuseum war eigentlich kein Museum, es war eine anarchistische, egomanische Galerie. Es war Reinhard Zabkas Lebenswerk. Doch Zabka ist in Gantikow gescheitert. Gescheitert an Mietnachforderungen, die er nicht begleichen konnte, gescheitert an einer Kommune, die kein Geld beisteuern wollte, um sein überregional bekanntes Haus zu retten. Gescheitert aber auch an den Umständen, an sich selbst, am Versuch, die Ostberliner Boheme in Brandenburg zu konservieren.
Reinhard Zabka, 60 Jahre alt, stammt aus Erfurt, lernte Fernmeldemechaniker, lebte und wirkte in Prenzlauer Berg in der Spätphase der DDR und zog 1990 nach Brandenburg. Nach Gantikow kam er 1997: Die Gemeinde überließ ihm für eine Mark das marode Gutshaus, sein Lügenmuseum finanzierte sich Zabka selbst.
2004 musste er das Haus verkaufen, Nachforderungen aus den 90er Jahren brachten ihn in eine finanzielle Zwangslage. Käufer war der Verein Offene Häuser, der Zabka jetzt indirekt, über Gläubiger, vor die Tür setzen ließ. Über den Verein und seinen langjährigen Vorsitzenden Bert Ludwig wäre auch einiges zu sagen, Reinhard Zabka hat sich in einem fünf Jahre währenden Nervenkrieg in dieses Thema verstrickt. Im Kern ging es um den Vorwurf, der Verein kassiere ostdeutschlandweit Fördermittel für historische Bauten und lasse diese verfallen.
In Gantikow eskalierte der Kleinkrieg vor zwei Jahren in einer Ausstellung Zabkas mit dem Titel "Zentralfriedhof der Invest-Ruinen" und einer Reihe böser Briefe des Vermieters. Zabka hat diese ins Groteske gehenden Briefe in die Dauerausstellung des Lügenmuseums aufgenommen - als ob es noch eines Beweises bedurft hätte, dass hier Künstler und Haus miteinander verschmelzen.
Rund 6.000 Besucher zählte er pro Jahr, überregionale Aufmerksamkeit ebenfalls. "Der letzte Dadaist des wilden Ostens", nannte ihn die Zeit. Wie gestrandet im wilden Nordwestbrandenburg wirkte der vergeistigte, mit seinen langen Haaren fast noch jugendliche Reinhard Zabka in diesem Sommer, kurz vor dem Ende des Museums. Als sei schon alles gesagt, widmete er sich einem Krimi und überließ das Reden seinem einzigen und temporären Mitstreiter in Gantikow, dem Schauspieler Maximilian Ruethlein. Der serviert den Lügentee, tischt in nicht enden wollendem Redefluss wundervoll erlogene Gründungslegenden des Museums auf, wofür er bis zu den mittelalterlichen Bettelmönchen von Basra zurückgreift.
Ruethlein erzählt auch, wie wenig Zabka im Dorf angenommen wurde. Wie wenig die Gantikower von einem wie ihm verstehen, wie wenig sie mit ihm zu tun haben wollten. Reinhard Zabka selbst sagt: "Ich habe im Dorf gelebt ohne einen Freund." Und: "20 Jahre Kulturarbeit im Land Brandenburg - das ist wie vor die Säue geworfen." Zabka ist verbittert. Wenn er aber weniger scharf formuliert, dann sagt er: "Es ist mir nicht gelungen, das Lügenmuseum zu vermitteln."
Der Bürgermeister von Kyritz, Hans-Joachim Winter (CDU), deutet es so: Zabka habe nicht nur künstlerisch provoziert, sondern auch im Umgang mit den Menschen seiner unmittelbaren Umgebung. "Im ländlichen Raum ist das tödlich." Was sich nun überdeutlich zeigte. Lange lebten die Gantikower und ihr Lebenskünstler nebeneinander her, eher skeptisch als wohlwollend. Welchen Einfluss das Lügenmuseum auf Gantikow gehabt hat? "Keinen", sagt Ortsbeiratsvorsitzender Gerhard Dorn. Geld dagelassen hätten die Besucher nicht. Was auch schwierig wäre, denn die einzige Gaststätte des Orts ist nur sporadisch geöffnet.
Als Reinhard Zabka in diesem Sommer nun auf Unterstützung angewiesen war, als er Geld von der Kommune forderte, um seinen "kulturellen Leuchtturm" erhalten zu können, fegte ein Sturm der Entrüstung über die Leserbriefseiten des Kyritzer Lokalteils der Märkischen Allgemeinen. Der lokale FDP-Mann Joachim Pein schrieb etwa: "Sieht denn das keiner, dass da gar keine Kunst ist?" Und weiter: "Was da in Gantikow zu sehen ist, ist kein Museum und auch keine Kunst, sondern eine Beleidigung für wirkliche Museen und echte Künstler. Ich appelliere an die einschlägigen Firmen in unserer Region, Herrn Zabka zu helfen - ein letztes Mal - und ihm zwei Sperrmüllcontainer kostenlos zur Verfügung zu stellen."
Die Freiwillige Feuerwehr wies darauf hin, dass die Löschzüge veraltet seien und einheitliche Ausgehuniformen fehlten. Die Schuldirektorin forderte Sonnenjalousien für die Südseite. In Kyritz steht die Bürgermeisterwahl bevor - und mit Zabka kann man keine Stimmen gewinnen. Der stellt die klischeehaftesten Teile der Leserbriefe auf seine Internetseite. Als seien auch sie Teil der Inszenierung.
Die Zeit Zabkas in Gantikow ist abgelaufen - allen überregionalen Solidaritätsadressen zum Trotz. So schrieb etwa der Maler Johannes Heisig: "Ich habe mich im Lügenmuseum be- und verzaubern lassen und kann einen Ausflug dorthin Kind und Kegel nur empfehlen." Zwar tagen am heutigen Mittwoch noch einmal die Kyritzer Stadtverordneten zum Thema, zwar sagt Bürgermeister Winter, auch der Auszug sei "Teil von Zabkas Inszenierung", doch eine Zukunft in Kyritz ist unwahrscheinlicher als die Rückkehr des Landkünstlers nach Berlin.
Reinhard Zabka, der zum 1. Oktober auch keine Bleibe mehr hat und Künstlernothilfe beantragt, deutet zwei Möglichkeiten in Prenzlauer Berg und in Mitte an, wo er Wohnung und Ausstellungsräume erhalten könnte. Es wäre die Rückkehr des Bohemien nach Berlin. Als wäre das Land nur ein großer Irrtum gewesen. Als hätte die Lüge nur in der Stadt ihren Platz.
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