piwik no script img

Aus deutschen Unterhosen

Christoph Schlingensief wünscht Anerkennung als Enfant terrible des Jungen Deutschen Films  ■ Von Mariam Niroumand

Ein Fax geht um in deutschen Filmredaktionen: Christoph Schlingensief, 33, Regisseur der erschröcklichen Deutschland-Trilogie „100 Jahre Hitler – Die letzte Stunde im Führerbunker“, „Das deutsche Kettensägenmassaker – Die erste Stunde der Wiedervereinigung“ (beide auf mehreren Festivals einschließlich der „Deutschen Reihe“ der Berlinale zu sehen) und nun „Terror 2000“, gibt kund und zu wissen, daß er Ulrich Gregor, dem Leiter des Berlinale- Forums grollt, weil die Spielfilm- Auswahlkommission der diesjährigen „Deutschen Reihe“ es gewagt hat, „Terror 2000“ abzulehnen. Das deutsche Feuilleton steht sofort Gewehr bei Fuß: „Sachzwang oder Ausrede“, fragte man sich in der Süddeutschen Zeitung, und kommt zu dem Schluß, daß dieser „schrille, bewußt überzeichnende Beitrag zum Thema ,Rassenhaß in Deutschland‘ nicht ins Konzept einer Werbung für Deutschland und den deutschen Film paßt“. Werbung für Deutschland? Macht das Forum deshalb eine aktuelle Reihe zum Thema „Rassismus in Deutschland“ mit Heises „Stau“, Balzers Video „Amadeo Antonio“ und Schmidts „Wahrheit macht frei“? Werden Filme von Romuald Karmakar deshalb im Hauptprogramm gezeigt?

In der Zeit erscheint „Terror 2000“ gar als „das wirksamste Gegengift gegen den Biedersinn des deutschen Gremienfilms“. Und, ganz krachledern: „Was Helke Misselwitz ausblendet, zeigt Christoph Schlingensief bis zum Exzeß: deutschen Ekel, deutsche Häßlichkeit, deutschen Dreck. ,Terror 2000‘ ist ein Film ohne Prädikat, weil Schlingensief die Spielregeln verletzt, mit denen das deutsche Fördersystem seine Zöglinge domestiziert: Seine Geschichten sind nicht realistisch, sondern allegorisch und obszön, seine Bilder strotzen vor Blut und Exkrementen, und seine Regie sprengt den Rahmen des öffentlichen Fernsehfilms.“

Wir sehen klar: Auf der einen Seite die verzärtelten, staatstragenden, unter dem Regelwerk buckelnden Filmhochschüler und ihre tintenklecksenden Bürokraten, auf der anderen Seite, draußen im feindlichen Leben, die angry young men, die Nachfahren Gottfried Benns, die uns über uns und besonders gern die Lage in unseren Unterhosen die Wahrheit sagen, die wir nicht hören wollen.

„Terror 2000“ beginnt mit Schwarzweiß-Aufnahmen einer glücklich lächelnden Flüchtlingsfamilie, die mit der Ankündigung unterlegt sind, daß weite Teile der Bevölkerung außer Kontrolle geraten seien, und daß wir nun genüßlich einen Blick auf die Ereignisse werfen wollten. Die Ereignisse: nach dem Hitler-Film und dem Splatter über die Wiedervereinigung nun eine Koppelung des Geiseldramas von Gladbeck mit Deutschland vor Rostock. Entführer Bössler (Alfred Edel) und Jablo (Udo Kier im Pastorenrock) haben in der Stadt Rassau (aufgemerkt! bedeutsam, der Name!) ein Möbelgeschäft und eine Kirche eröffnet. Sie durchstreifen das Land in einem landserromantischen Jeep, rufen „Klatscht die Polacken“ und schlachten in einem „Asylantenzug“ eine polnische Familie ab (nicht ohne vorher die kleine Tochter vergewaltigt und ihr einen blonden Aschenputtel- Zopf abgeschnitten zu haben). Die abgehackten Gliedmaßen der Opfer werden später von BKA-Frau Margret (Margit Carstensen) aus einem Sumpf von Exkrementen herausgezogen. Wenn sie an Gladbeck denkt, kommt's ihr ebenso wie ihrem Kollegen Peter Körn (Peter Kern), wenn der die kleine blonde Martina (Susanne Bredehöft) in ihrem Matrosenhemdchen sieht.

Im Asylantenheim gehts dabei lustig zu: Der Afrikaner möchte schlafen, der Türke möchte die Heimleiterin ficken, die es ihrerseits gut meint und oft und gern von Treblinka redet, stets von ihren beiden debilen Muttersöhnchen umschwänzelt; der Sozialarbeiter Fricke (Gary Indiana) entpuppt sich als Transvestit, der schon frühzeitig hinter dem Möbelladen erschlagen wird, etc. Alle masturbieren wo sie gehen und stehen, Hirn spritzt, Scheiße quillt, Sie wissen schon: Das ganze unglaublich revolutionäre Programm von vor zwanzig Jahren wird abgenudelt. Gähn.

Dabei lehnt sich Schlingensief nach hinten, an Fassbinders „Satansbraten“ an, spielt sich durch die Besetzung mit Margit Carstensen in ihrer Fassbinder-Rolle als masochistisch-durchgeknallte Zicke und Udo Kier als Sado- Lümmel-Poet gar als rechtmäßiger Erbe auf – fällt aber bös in die Jauchegrube, die er sich selbst geschaufelt hat. Wo Fassbinder unter den Verhältnissen gelitten und entsprechend beherzt Figuren aus seinem eigenen Holz geschnitzt hat, da erscheint Schlingensief wie jemand, der nur noch mit Safer-Sex- Handschuhen vor dem Spiegel operieren kann: in großer Kühle, innerer Reinheit und Keimfreiheit, ein Filmchen aus dem Narzißten- Biotop der 90er Jahre, Deutschland nicht im Herbst, sondern im klirrenden Frühtau. Man sieht den rasenden Wunsch des Kleinbürgers, nicht mehr behelligt zu werden von Gesetzen, von Moral, demokratischem Prozedere und all diesen Beziehungsverflechtungen – endlich frei sein.

Das alles könnte einem herzlich gleichgültig sein, wäre da nicht die verblüffende Bereitschaft allerorten, dergleichen dümmliche Watschen devot entgegenzunehmen. Der grinsende Applaus für jeden, der es den Deutschen, den Sozialarbeitern, den Ministern, den Emanzen oder den linken Standards mal wieder deftig besorgt hat, zeigt, wie vielen diese Standards über lange Jahre doch recht äußerlich geblieben sind, und wie sie nun auf die erstbeste Gelegenheit warten, sie endlich über Bord werfen zu können. Wetten, daß Schlingesiefs nächster Film im KZ spielt, eine Mammut-Schlabber- Spritz-Orgie zwischen Häftlingen und Aufsehern, mit Design von Deix und Drehbuch aus der Titanic?

Ulrich Gregor, der gescholtene Leiter des Forums, hat von dem Zensur-Vorwurf erst aus der Presse erfahren. Auf die Idee, es könne sich bei der Entscheidung der Auswahlkommission – an der Gregor zwar nicht unmittelbar beteiligt war, die er aber dennoch nicht anzweifelt – schlicht um ein Urteil über die Qualität dieses miesen, spießigen kleinen Films gehandelt haben, ist überhaupt noch niemandem gekommen. Gregor will nun dennoch nach Möglichkeiten suchen, wie der Film ausländischen Berlinale-Besuchern zugänglich gemacht werden kann, die laut Schlingensief nicht ohne diese bahnbrechende Eröffnung leben können. „Erpressen lassen wir uns allerdings nicht“, verneint Gregor die Frage, ob der Film nun doch noch in die „Deutsche Reihe“ aufgenommen werde. Die Strategie wird sich aber ebenso bezahlt machen wie bei den Söldnerfilmen Romuald Karmakars; man muß nur behaupten, die deutsche Linke sei gegen ein Werk, dann ist ihm das internationale Renommee sicher.

Christoph Schlingensief: „Terror 2000“. Kamera: Reinhard Köcher. Mit: Peter Kern, Margit Carstensen, Alfred Edel, Udo Kier. BRD 1992, 79 Minuten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen