: Aus der Traum
Die USA verlieren in Köln ein Basketball-Länderspiel gegen Italien mit 78:95. Goldfavorit beiOlympia in Athen bleiben die NBA-Profis dennoch, unschlagbar aber sind sie beileibe nicht mehr
AUS KÖLN MATTI LIESKE
Es ist gar nicht so lange her, da ließen sich die Mitglieder internationaler Basketball-Teams, die gegen die USA gespielt hatten, nach der Schlusssirene gemeinsam mit ihren Kontrahenten fotografieren oder baten sie um Autogramme wie kleine Schulbuben. Den Italienern fiel in der Kölnarena nichts dergleichen ein. Ein lässiger Händedruck, ein tröstender Klaps auf den Allerwertesten, das war alles. Die NBA ist für diese Spieler nicht mehr das unerreichbare Paradies, sondern für etliche eine realistische Karriereoption. Und die Cracks der Liga sind spätestens seit der WM 2002, wo sie in Indianapolis nur Sechste wurden, nicht mehr unschlagbar. Auch Italien hatte am Dienstagabend gewonnen gegen die Auswahl von NBA-Stars, und das nicht einmal knapp, sondern drastisch mit 95:78. Und wären die Italiener in den letzten Minuten nicht schon mit Feiern beschäftigt gewesen, der Abstand wäre noch größer ausgefallen, und die USA hätten jene 100 Punkte kassiert, die für die meisten ihrer Vorläuferteams absolute Pflicht waren, natürlich auf der Habenseite.
„In Europa werden unsere Mannschaften von einigen immer noch Dream Teams genannt“, hatte ein US-Kolumnist vor der Abreise der Olympia-Auswahl gespöttelt. Was keinesfalls als Schmähung der eigenen Leute gemeint war, sondern der Naivität der Europäer galt. Die Zeiten von Dream Teams sind längst vorbei, der Rest der Welt hat physisch, spielerisch und taktisch mit den USA gleichgezogen. Dennoch ist es nicht nur für die ausländischen Nostalgiker, sondern auch für manchen Akteur der US-Delegation schwer, dies in aller Konsequenz zu realisieren. Sie sind schließlich Stars in ihren Klubs, in der NBA, in der ganzen Welt. Gut die Hälfte der 15.000 Zuschauer in der Kölnarena trug Trikots mit Namen wie Iverson, James oder Marbury drauf, nur ein einsamer Galanda hatte sich darunter verirrt – zu Recht, wie sich später herausstellte. Die Ovationen beim Einlaufen des US-Teams waren gewaltig, die mitgebrachten Kameras liefen auf Hochtouren, und als LeBron James, Lamar Odom, Carmelo Anthony, Amare Stoudemire und Richard Jefferson beim Einwerfen eine kleine, aber spektakuläre Dunking-Show veranstalteten, wurde jede einzelne Flugnummer frenetisch bejubelt. Bei so viel Vorschusszuneigung fällt es schwer, sich nicht für das Dream Team zu halten.
Als das Spiel begann, wurde die Identitätskrise offensichtlich. Anstatt wie eine reale Basketball-Mannschaft aufzutreten, versuchten die USA, die Showtime-Erwartungen des Publikums zu erfüllen. Hier ein Pass zu viel, da ein übertriebenes Crossover-Dribbling, dort ein zu riskanter Bodenpass, hin und wieder im Übereifer ein Schrittfehler. Am Ende waren es 23 Ballverluste, viel zu viele, um ein Basketballspiel gewinnen zu können. Die Italiener punkteten dagegen beharrlich und spielten so, wie von jeher fast alle Mannschaften gegen US-Teams spielen – mit immer größerem Erfolg. Hinten eine unangenehme Raumdeckung, vorn in die Zone ziehen und den Ball zu einem frei stehenden Mitspieler an die Dreipunktelinie passen, vor allem aber die Fast-Breaks unterbinden. Der erste erfolgreiche Konter der USA, eigentlich ihre Spezialität, kam in der fünften Minute der zweiten Halbzeit und wurde von Allen Iverson abgeschlossen. Da Galanda (28 Punkte) und Basile (25) ihre Distanzwürfe geradezu traumhaft trafen und die Guards Bulleri und Pozzecco die amerikanische Defense mit ihren Vorstößen ständig demontierten, ging die Taktik von Coach Carlo Recalcati voll auf.
Mit dieser Spielweise hatten auch frühere US-Teams, etwa das von Atlanta 1996, ihre Probleme gehabt. Doch damals standen tatsächlich die Besten der NBA auf dem Platz, und Leute wie Barkley, Pippen, Robinson, Stockton, Malone, O’Neal oder Miller waren individuell so überlegen, dass sie nie ernsthaft in Gefahr gerieten. Vor vier Jahren in Sydney mogelte sich das US-Team noch einmal zum Gold und ist bei Olympischen Spielen ungeschlagen, seit 1992 das echte Dream Team mit Jordan und Magic Johnson die Bühne betrat. Diese makellose Bilanz ist in Athen in größter Gefahr.
„Meine Leute haben eine Lektion erhalten“, sagte Chefcoach Larry Brown, gerade mit den Detroit Pistons NBA-Champion geworden, „sie haben erfahren, dass es überall auf der Welt Spieler und Trainer gibt, die den Basketballsport beherrschen.“ Es ist die Crux der US-Coaches, dass sie diese Erkenntnis ihren Mannschaften immer wieder aufs Neue eintrichtern müssen. Während die andern Teams oft seit Jahren in gleicher Besetzung auflaufen, ist Team USA jedes Mal neu komponiert. Nach dem Debakel von Indianapolis sollte das eigentlich anders werden. Der Plan des geschockten Verbandes war, Olympia mit derselben Mannschaft zu bestreiten wie die überzeugend absolvierte Qualifikation im letzten Jahr. „Man muss den Gegner respektieren und an beiden Enden des Platzes als Mannschaft auftreten. Wir hatten letztes Jahr ein Team, das dies jeden Abend getan hat“, trauert Brown der Mannschaft vom Turnier in Puerto Rico nach. Doch die Absagen kamen im Stakkato. Kevin Garnett, Tracy McGrady, Jermaine O’Neal, Vince Carter, Ray Allen, Jason Kidd, Ben Wallace, Paul Pierce, sie alle sind nicht mehr dabei, nur Iverson, Tim Duncan und Shawn Marion blieben übrig.
Die aktuelle Olympia-Auswahl ist bei weitem das jüngste Team seit 1988, als man noch die College-Boys schickte, dabei sind zum Beispiel die drei Liganeulinge LeBron James, Carmelo Anthony und Dwyane Wade. Großartige Spieler, die jedoch sichtlich überfordert waren mit den internationalen Regeln und der raffinierten Spielweise der Italiener. „Die können aber werfen“, staunte Anthony, der sich mit 19 Punkten und 6 Rebounds neben Tim Duncan (15/10) noch am ehesten zu behaupten wusste.
„Das war ein Tritt in den Arsch“, gab Lamar Odom unumwunden zu. „Ein Weckruf“, drückte sich Kapitän Iverson etwas gewählter aus und fügte an: „Wir haben so etwas gebraucht, um zu begreifen, dass es nicht leicht werden wird bei Olympia.“ Besser werden die USA sicher spielen in Athen, und nach wie vor ist die talentgespickte Mannschaft Topfavorit auf die Goldmedaille. Aber eines weiß sie genau seit dem Dienstag in Köln: Ein Dream Team ist sie nicht.